grenzenlos nah

Autor*in
Gfrerer, Gabriele
ISBN
978-3-522-20119-3
Übersetzer*in
Ori. Sprache
Illustrator*in
Seitenanzahl
267
Verlag
Thienemann
Gattung
Ort
Stuttgart
Jahr
2010
Lesealter
12-13 Jahre14-15 Jahre16-17 Jahreab 18 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Preis
13,95 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Fünf junge Österreicher fahren zu einer Aufbauwoche nach Bosnien, wo vor 14 Jahren fast 8000 Moslems ermordet wurden. Zwei der Jugendlichen sind von dort als kleine Kinder gerade noch geflohen und kehren mit Bangen zurück. Es entwickelt sich eine furiose innere und äußere Handlung, die enge Zusammenarbeit entfacht emotionale Stürme und die Gewalttaten haben immer noch Einfluss auf die Bevölkerung von heute. Die fünf jungen Menschen ziehen alle Stürme auf sich.

Beurteilungstext

Das Personal der Reise ist einigermaßen gewagt ausgesucht: ein junges und engagiertes Mädchen, ein Schnösel mit viel Geld im Hintergrund und die Dreierbande, Sira, Karim und Max. Sira wurde als Kleinkind von Karim behütet, und die Flucht aus Bosnien hätte sie ohne ihn nicht überstanden. Max ist beider Freund, seit Kindesalter sind sie zusammen; Max aber muss zunehmend feststellen, dass seine Kinderfreundschaft zu Sira sich zu einer ernsthaften Liebe entwickelt; Karim und Sira aber sind eben von klein auf füreinander bestimmt und stellen das keinen Augenblick in Frage.
Die Konstellation aller zusammen ergibt nun ein Konfliktpotential, das sich gewaschen hat - und der Leser kommt auch nicht weiter als die Fünf, weil die sich selbst noch viel zu wenig kennen, um entschlossen handeln zu können. Nur Karim gibt sich als Obermacho und forciert die Entwicklung.
Bemerkenswert aber ist dabei vor allen Dingen die Fähigkeit der Autorin, die ganzen Gefühlsstürme, die Frustrationen, das Geplänkel, die Feiern, das Niedermachen und die (zaghaften) Liebesszenen glaubhaft und bar jeder Platitüde zu beschreiben. Reichlich Leerstellen überlassen dem Leser, die Gedanken weiter zu entwickeln, allzu Romantisches überspringen sie, allzu Eindeutiges bleibt dort, wo es den Handlungsverlauf hemmen würde, ausgespart. Und keiner der Protagonisten ist nach der einen Woche der Gleiche, als der er hineinging.
Aber das ist nur die knappe (wenn auch sehr mitnehmende) Hälfte der Handlung. Die andere Hälfte ist die eines humanitären Einsatzes in einer auch 14 Jahre nach dem Krieg noch völlig desolaten Landschaft. Die Frage nach dem Sinn eines einwöchigen Einsatzes stellt sich ebenso wie die Frage nach dem Verständnis für die Probleme des Landes. Kann denn ein junger Österreicher (oder wenn’s beliebt: ein junger Deutscher) überhaupt verstehen, wo er dort ist, was er dort soll, wie er dort von den Einheimischen gesehen wird? - Sira durchläuft freudetrunken einen kleinen Wald, nur durch Zufall entgeht sie der Gefahr einer Minenexplosion: viele Landstriche sind noch auf Jahre verseucht, es fehlt einfach das Geld, alle Minen zu räumen - das alles liegt weit außerhalb der Vorstellungswelt des behütet aufwachsenden Mitteleuropäers.
Karim verliebt sich in eine hübsche Bäckerin - und weiß nicht, dass sie Serbin ist; Serben sind Schuld an seinem Unglück, er hasst sie allesamt. Prompt gerät er an Jugendliche, die ihn dazu bringen wollen, den serbischen Bürgermeister, den Vater seiner Freundin, zu erschießen - erst in diesem Augenblick erkennt er, dass Hass tödlich sein kann; diese Erkenntnis spürt er schmerzhaft, buchstäblich.
Dass die gesamte Geschichte gut ausgeht, verdienen die jungen Leser (die solches bekanntermaßen lieben). Aber das lässt auch den Schluss zu, dass es sich lohnt, sich für eine gute Sache einzusetzen. Und Sira bekommt Gewissheit über einen Onkel, den sie selbst kaum kennen gelernt hat, der aber seit 1993 verschollen ist, und ein Andenken an ihn. Und einen Freund.
Mindestens die Dreierbande (weniger ausgesprochen gilt da auch für die beiden anderen) bekommt eine Perspektive für die Zukunft und die Gewissheit, dass tradierte Ansichten mindestens immer wieder hinterfragt werden müssen.
Der Pädagoge in mir freut sich besonders über die Beschreibung des jungen Karim: Bislang habe ich noch nicht gelesen, wie ein solches Macho-Gehabe (das Karim natürlich nie ablegen wird) zu erklären ist, dass es ebenso sympathisch sein kann, wie es bloßstellt - nicht nur den Angegriffenen, sondern auch den Angreifer. Die beiden anderen sind nicht umsonst mit ihm befreundet - und sie können sich köstlich über das Gockelgehabe amüsieren.
Wie auch der Leser.
Auf der Auswahlliste für den LesePeter der GEW.cjh11.1

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Diese Rezension wurde verfasst von cjh.
Veröffentlicht am 01.01.2010

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