George Orwell

Autor*in
Christin, PierreVerdier, Sebastian
ISBN
978-3-95728-154-8
Übersetzer*in
Kootz, Anja
Ori. Sprache
Französisch
Illustrator*in
Verdier, SebastienJuillard, AndreBalez, OlivierLarcenet, ManuGuarnido, JuanjoBilal, Enki
Seitenanzahl
156
Verlag
Knesebeck
Gattung
Buch (gebunden)Comic
Ort
München
Jahr
2016
Lesealter
12-13 Jahre14-15 Jahre16-17 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Fachliteratur
Preis
25,00 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Teaser

Orwells Leben wird von den Autoren und Gastzeichnern in vielen Stationen vorgestellt: Seine einsame Kindheit, Schulzeit, Polizist in Burma, Bürgerkrieg in Spanien, Arbeiter und Obdachloser in London, Journalist und Autor, Landleben, Heirat und Vater. Er ist analytischer Beobachter. Die meist schwarzweißen Zeichnungen und wenigen Fotos enthalten Zitate und Erklärungen. Unterhaltungen sind den Tagebüchern entlehnt. Das Erlebte bringt ihn zu den Texten, die bis heute aktuell sind und wirken.

Beurteilungstext

Eric Blair lebte von 1903 bis 1950. Er gab sich später den Namen Orwell.
Von seiner Kindheit an haben ihn Schlüsselerlebnisse dazu gebracht, sehr genau zu beobachten, zu reflektieren und zu schreiben.
Die Zeichner (die Autoren haben zusätzliche Gastzeichner gewinnen können) geben punktuell die wichtigsten Lebensstationen Orwells wieder. Er gab sich erst sehr spät diesen Künstlernamen, nachdem er unter dem Namen Blair immer wieder von Verlegern abgelehnt wurde. Unterschiedlich gezeichnete Portraits zeigen verschiedene Images, je nach gewähltem Namen.
Die unterschiedlich langen Episoden der Graphic Novel sind (je Seite 6-8 Bilder) fast ausschließlich in schwarz-weiß gefertigt, mit einigen roten Farbtupfern. Die Gastzeichner übernehmen Doppelseiten, wenn es um Textauszüge aus Orwells wichtigsten Büchern geht. Daher gibt es Unterschiede in der graphischen Form.
Biografische Aussagen, den vielfältig vorliegenden Exzerpten entnommen, sind durch Zusammenfassungen bearbeitet worden. Die Chronologie ist gekürzt.
Die Bearbeitung leistete vor allem Pierre Christin, der sich von den Arbeiten, Orten und politischen Überzeugungen Orwells - laut eigner Aussage im Nachwort - stark beeinflussen ließ.
Die zitierten Aussagen von Orwell selbst sind durch Schreibmaschinenschrift kenntlich gemacht und wurden von den Autoren nicht verändert.
Die getroffene Auswahl aus den biografischen Daten dieser Graphic Novel behandelt u.a. nachfolgende Lebensstationen.
Der Junge wuchs überwiegend allein bei seiner Mutter auf, nachdem sie aus Indien nach England zurückgekehrt war. Sein Vater blieb dort Zeit seines Lebens im Dienste der britischen Krone. Er kannte somit die Facetten des Imperialismus und die Verhältnisse der unteren Mittelschicht, der er sich und die Familie Blair zuordnete, sehr gut.
In seiner Kindheit war er oft einsam, hatte eine Freundin in einem Mädchen in der Nachbarschaft und interessierte sich außer für das Lesen auch für Darstellungsformen der Literatur. Die wichtigsten Autoren verfolgte er auch später, als seine Mutter ihn in einem Internat in Sussex unterbrachte.
Er war dort durch einen Freiplatz aufgenommen worden, da die Mutter die teure Schule nicht hätte bezahlen können. Die Schulleitung und Mitschüler ließen ihn das fühlen. Trost war ihm in dieser Zeit noch der Kontakt zu seiner Freundin in den Ferien, die Naturbeobachtungen zu Hause und das Fliegenfischen.
Als er wegen guter Leistungen nach Eton hätte wechseln können, entschied er sich stattdessen für Birma und den Dienst bei der burmesischen Polizei dort.
Von dort an registrierte er viele ihn verändernde Ereignisse, wie z.B. die Unterschiede zwischen der gottgleichen englischen Besatzung und den an Bord Beschäftigten.
Die Betroffenheit, die er dabei empfand habe ihn mehr gelehrt, als ein halbes Dutzend sozialistischer Pamphlete.
Er erlebte die Jagd auf Menschen und Tiere, die Auswüchse des Imperialismus, die Verlogenheit in den Clubs und offenen Rassismus.
Er wurde ein immer kritischerer Beobachter seiner Mitmenschen. Wer Einheimische nur ansatzweise anerkannte, hatte in Burma verloren. Zurück in England, fand er keinen Anschluss an das dortige Leben und an seine Jugendfreundschaft. Später machte er in Paris, wo er in unterster Position als Tellerwäscher arbeitete, sowie in London, wo er die unterschiedlichen Unterkünfte der Arbeitslosen kennenlernte, immer wieder ähnliche Erfahrungen. In der Anstellung eines Tutors erlebte er die unwürdige Behandlung einer engagierten Lehrerin, die gegen die Strukturen keine Chance hatte.
Viele weitere Männer und Frauen erlebte er in ausweglosen Situationen, weil Gesellschaft und Strukturen ihr Scheitern nicht nur nicht verhindern, sondern offenbar hervorriefen. Er entwickelte sich vom anarchistischen Tory zum kompromisslosen kritischen Sozialisten. Die Protagonisten in den beobachteten Szenen hatten für ihn offenbar die Funktion von Lehrmeistern. Er schrieb als Zeitzeuge über sie, darüber hinaus auch als Journalist oder Romancier.
Oft werden seine Texte nicht angenommen. Er beschließt daher, sich ein Pseudonym zu wählen, unter dem er seine Überzeugungen am besten würde veröffentlichen können.
Seit der Namensänderung hat er große Erfolge.
Weitere gezeichnete Stationen sind Heirat, Rückzug in ein schönes aber wenig komfortables ländlich gelegenes Haus und seine Teilnahme am Widerstand in Spanien.
Er reiste zunächst alleine nach Spanien, um sich am Kampf gegen den Faschismus zu beteiligen. Er kooperierte mit Kameraden aus der Arbeiterklasse vieler Länder.
Düstere Zeichnungen stellen die revolutionäre Stimmung dar, den Einbruch des Winters, die schlechte Ausrüstung den Kampf gegen Ratten und Läuse aber auch die solidarische Verständigung unter den Widerständlern.
Die Zeichnungen geben bewegende Einblicke in die Bedrohungen, manchmal zeigen sie den Anklang von Hoffnung durch Freundschaften und Vertrauen; schließlich dann doch in die Hoffnungslosigkeit ihres Vorhabens und die Enttäuschung über das doppelte Spiel der Sowjetunion.
Erschreckend ist hier die Doppelseite, die eine Szene von Kämpfern und Verletzen auf einem Feld zeigt. Der Schützengraben ist noch nicht fertig gestellt, oder werden gerade Gräber ausgehoben? Diese Seite ist farbig gestaltet. Sie wirkt in Ocker und Oliv und dem merkwürdig helleren Licht im Hintergrund, das dennoch keinen Sonnenaufgang vermuten lässt, wirkt düsterer aus die schwarz-weißen Zeichnungen.
Als Orwell selbst verletzt wurde, drohten Verhaftung und auch die Gefährdung seiner Frau, die gerade erst in Spanien angekommen war.
Die Bilder der Straße lassen die Betrachter eintauchen in eine bedrückende Angst machende Zeit, während in den Hotels das andere Leben offenbar ungetrübt weitergehen konnte. Nicht überschaubar ist, wer die Gesetze gerade steuerte.
Orwell und Eileen konnten als Touristen fliehen, während mit roten Fahnen Francos Truppen in Barcelona einmarschierten.

Der dritte Teil schildert Orwell als kritischen Sozialisten, Journalisten und Schriftsteller in England. Er verfasste neben Essays, Rezensionen und Kolumnen auch humorvolle Texte zum gesellschaftlichen Leben. Dessen Regeln – z.B. die Zeremonien des Teekochens - reichten bis in die Schützengräben. Die Zeichnungen geben viele Szenen dieses Lebens in der Geschäfts- und Sportwelt wieder, und seines Lebens auf dem Land, inzwischen in einem neuen Haus mit großem Garten und vielen Tieren. Es schildert den Aufenthalt in der Klinik, der ihn von der Arbeit nicht abhielt, obwohl gegen seine Tuberkulose in England wenig getan werden konnte. In Marokko sollte er Besserung erfahren. Er war in der Menge unterwegs, als senegalesische Truppen in Marrakesch einmarschierten. Ihm wurde klar, dass alle Soldaten sich irgendwann gegen ihre Herren erheben würden. Auch französische Truppen schießen irgendwann gegen Eingeborene, genau wie die englischen. Er sah überall Krieg und vermerkte an anderer Stelle einen Ekel vor der Politik und den inneren Strukturen der sozialistischen Bewegung.
Sein Ziel war, sich patriotisch für sein Land einzusetzen. Ihn beschäftigten inzwischen Hitler und der Nichtangriffspakt. Wegen der Tuberkulose konnte er als Nationalgardist eingesetzt werden. Er hoffte auf eine soziale Revolution, die der deutschen Invasion Widerstand leisten könnte. Er wurde Ausbilder und konnte weiterhin schreiben und später für die BBC arbeiten.
Bomben, Straßen- und Barrikadenkampf hielten ihn nicht von dem Gedanken ab, ein Kind zu adoptieren. In den Zeichnungen von Orwells Gesicht spiegeln sich Sorge, Entschlossenheit im Kampf und die Hoffnung auf ein privates Leben mit Eileen wider. Sie überlebten Angriffe und die Zerstörung ihres Hauses. Animal Farm erschien. Hier wunderbar parodistisch auf einer Doppelseite gemalt mit einem Textauszug.
Orwell zog erneut aufs Land und lebte dort fast wie ein Einsiedler. Die Zeichnungen zeigen eine Gegenwelt zum Krieg: weite Landschaften, gärtnern und weitere Unternehmungen mit seinem Sohn.
Er hatte inzwischen Kontakt zu großen Literaten, seine Stimme wurde geachtet. Seine Frau starb an den Folgen eine Operation. Er wird später eine neue suchen und finden. Im Verhalten zu Frauen zeigte er dandyhafte Züge, die so gar nicht zu seinen revolutionären Überzeugungen zu passen scheinen. Doch wählte er Frauen, die seine Überzeugungen mittrugen.
Orwells Gesundheit blieb nach der Tuberkulose angeschlagen. Er arbeitete und schrieb dennoch unentwegt weiter. Er starb nur kurze Zeit nach seiner Hochzeit und der Beendigung seines Romans 1984 (eine Umkehrung der Zifferfolge des Jahres 1948).
Zu diesem visionären Roman gibt es wieder ein großformatiges Gemälde mit einem kurzen aber signifikanten Textausschnitt.
Im Untertitel des französischen Originals wird Orwell auch als Prolet bezeichnet. Im Text findet sich der Satz: „In der Begegnung mit den Herumtreibern habe ich mich von meiner eigenen sozialen Krankheit befreit.“
Dieser Band ist mit seinen vielen Facetten ein großartiges Buch. Ebenso facettenreich wie Orwells Lebensstationen (die verkürzt Eingang fanden) und sein Charakter, der ihn zum Erstellen vielfältigster wichtiger Textformen befähigte.

Für namentlich oder mit Namenskürzel gekennzeichnete Beiträge und Beurteilungen liegt die presserechtliche Verantwortung beim jeweiligen Autor bzw. bei der jeweiligen Autorin.

Diese Rezension wurde verfasst von stoni; Landesstelle: Nordrhein-Westfalen.
Veröffentlicht am 02.11.2019

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