Gegen mein Gewissen
- Autor*in
- Brinkmann, Hannah
- ISBN
- 978-3-96445-040-1
- Übersetzer*in
- –
- Ori. Sprache
- –
- Illustrator*in
- Brinkmann, Hannah
- Seitenanzahl
- 232
- Verlag
- avant-verlag
- Gattung
- Buch (gebunden)Comic / Graphic Novel
- Ort
- -
- Jahr
- 2020
- Lesealter
- 14-15 Jahre16-17 Jahreab 18 Jahre
- Einsatzmöglichkeiten
- Bücherei
- Preis
- 30,00 €
- Bewertung
Teaser
Gelungenes Graphic-Novel-Debüt über das Thema Kriegsdienstverweigerung
Beurteilungstext
„Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.“ Artikel 4, Absatz 3 des deutschen Grundgesetzes sieht die Möglichkeit der Verweigerung des Kriegsdienstes vor. Darüber, dass diese Möglichkeit lange Zeit faktisch nicht gegeben war, erzählt die für den Leibinger-Preis nominierte Graphic Novel „Gegen mein Gewissen“ (avant, 2020). In ihrem Comic-Debüt setzt sich die Hamburger Künstlerin Hannah Brinkmann (*1990) mit einem Skandal der deutschen Nachkriegsgeschichte auseinander, der für sie auch ein ganz persönlicher ist: Im Jahr 1974 macht der Suizid eines jungen Mannes Schlagzeilen, der wenige Monate zuvor trotz Kriegsdienstverweigerung zum Grundwehrdienst in der Bundeswehr eingezogen wurde. Der junge Mann war Hannah Brinkmanns Onkel Hermann und hat sich im Alter von 19 Jahren während der Grundausbildung für den Freitod entschieden. Vorangegangen war eine demütigende Gewissensprüfung einer Kommission alter Männer, die schon im Zweiten Weltkrieg gedient hat und die die pazifistischen Grundüberzeugungen Hermann Brinkmanns nicht akzeptieren wollte. Auch als er sich wenige Monate nach seinem Einzug wegen Depressionen einer psychologischen Untersuchung unterzieht, sieht man keinen Grund, Hermann frühzeitig aus dem Wehrdienst zu entlassen. Hannah Brinkmann erzählt die Geschichte ihres Onkels in verschiedenen, ineinander verschachtelten Zeitetappen – „weil sie wichtig ist, nicht nur für unsere Familie“ heißt es später: In den 1950er Jahren sehen wir Hermann als ein Kind, das beim Cowboy und Indianer spielen keine Waffe in die Hand nehmen möchte und das sich statt mit dem Vater zur Jagd zu gehen lieber mit dem Sammeln und Konservieren von Insekten beschäftigt. In den 1970er Jahren ist Hermann ein junger Mann mit langen Haaren, der raucht, Rockmusik hört und Albert Camus liest und in den 2010er Jahren sehen wir Hannah Brinkmann, die die Geschichte ihres Onkels erzählen möchte, eine Geschichte, die gleichzeitig eine Anklage ist und Hermann als „ein Opfer verfehlter, konservativer Nachkriegspolitik“ zeigt. Bemerkenswert ist Hannah Brinkmanns Blick für das Detail, der die Eigenheiten der Familie und der jeweiligen Zeit authentisch einfängt. Mal ist es das Putzmittel „ATA“ im Hintergrund, mal sind es die typischen Kunstdrucke wie der „Zahnreißer“ im biederen Wohnzimmer der 60er Jahre, mal die Musik- und Filmposter in Hermanns Jugendzimmer. Immer dann, wenn es um die emotionale Innenwelt Hermanns geht, kippt die eher realistische Darstellungsweise indes in eine surrealistische. Dann sehen wir Hermann etwa in seinem Gewissenskonflikt umrandet von Mikroskopbildern und anatomischen Darstellungen. Die einzelnen Panels laden auf diese Weise zum längeren Betrachten und Entdecken ein. Ein in jeder Hinsicht gelungenes Debüt und vor allem: ein wichtiger Beitrag zur Auseinandersetzung mit der jüngeren Geschichte.
Saskia Germer