Es war in Berlin

Autor*in
Beyerlein, Gabriele
ISBN
978-3-522-20043-1
Übersetzer*in
Ori. Sprache
Illustrator*in
Seitenanzahl
705
Verlag
Thienemann
Gattung
Ort
Stuttgart
Jahr
2009
Lesealter
14-15 Jahre16-17 Jahreab 18 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Preis
22,00 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Der dritte Band der Berlin-Trilogie, spielend im deutschen Kaiserreich. Das Leben zweier junger deutscher Frauen, sehr unterschiedlich in sozialer Herkunft und Bildung, kreuzt sich immer wieder, alleine schon durch die Tatsache, dass sie beide in denselben Mann, den Dichter Johann Nietnagel, verliebt sind und kurz hintereinander beide heimlich mit ihm liiert sind. Jede kämpft um ihr Lebensglück, aber schließlich auch um mehr Rechte und Anerkennung als Frau und für die Frauen.

Beurteilungstext

Eine gelungene Mischung aus Roman und Geschichte. Den Hauptschwerpunkt bildet der Beginn der Frauenbewegung, die langsam entstehenden Rechte der Frauen. Die Protagonistinnen der Trilogie sind nicht identisch, insofern kann jeder Band unabhängig voneinander gelesen werden. Aber während der 1. Band “ In Berlin vielleicht” das Leben eines Dienstmädchens beschreibt, der 2. Band “Berlin, Bülowstr. 80a” das Schicksal einer Frau aus dem bürgerlichen Milieu, werden im 3. Band die Lebenswege der Fabrikarbeiterin Clara Bloos und der Adligen Margarethe von Zug unabdingbar miteinander verwoben. Der direkte Vergleich und die Einblicke, die beide in das Leben der anderen Gesellschaftsschicht haben, hilft ihnen schließlich, mehr Verständnis für ihre Mitmenschen aufzubringen und sich besser zu orientieren.
Der Leser erhält sehr anschauliche Beschreibungen der erniedrigenden Arbeitsumstände der Frauen, die sich mit immerwährender Heimarbeit über Wasser halten müssen, für die sie jedoch nur Pfennigbeträge erhalten. Ihre Hoffnungs- und Ausweglosigkeit, wenn der Mann verstirbt, erkrankt oder sie verlässt und sie sich und ihre Kinder alleine ernähren muss, ohne jegliche soziale Unterstützung wirkt erschütternd, aber sehr real. Für Jugendliche bieten sich hier aktuelle Vergleiche an: Leben damals - heute: Sozialversicherungsgesetze, Arbeitslosengeld, staatliche Hilfen, das Gesundheitssystem. Der Wut der Frauen auf das erbärmliche Leben kommt sehr gut zum Ausdruck: Sie werden früh schwanger, bekommen viele Kinder und haben keine Chance auf ein besseres Leben. Die Wohnumstände werden anschaulich beschrieben: Die Rangordnungen der Mieter und die damit verbundenen sozialen Gruppierungen, vom Vorderhaus bis hin zum vierten Hinterhaus, auf dessen Hof die Sonne nie scheint, weder im Sommer noch im Winter und dessen winzige Wohnungen und Werkstätten durch die ewige Dunkelheit zu finsteren Löchern werden. Am Schlimmsten erschreckt das Bild der bedürftigen Anna Brettschneider, die mit ihren fünf Kindern in einem feuchten Kellerraum haust und beim trüben Schein einer Petroleumfunzel Papiertüten klebt.
Aber es sind nicht nur die Lebenswege von Clara und Margarethe, die den Leser unabdingbar in den Bann ziehen, sondern mehrere, verschiedene Frauenschicksale, angefangen mit Claras besten Freundin, Ratgeberin und Beschützerin Jenny, die das große Los gezogen hat, mit einem Eisengießer verheiratet zu sein und sehr engagiert in der Frauenbewegung ist, sogar zur Arbeiterschule geht; Claras jüngeren Schwester Lisa, die vom Hauswart Riefke sexuell missbraucht wird; Gesine Weishaupt, die Untermieterin von Jenny, eine Lehrerin, die sich schließlich umbringt, weil ihr Leutnant sie nicht mehr heiraten will, sie aber schwanger von ihm ist oder jene oben erwähnte Anna Brettschneider.
Die hohe Kindersterblichkeit ist ein weiterer trauriger Punkt, der angesprochen wird und den Leser immer wieder erschüttert.
Sehr bedeutend ist außerdem die Schilderung der unmenschlichen Fabrikarbeit, insbesondere für die Frauen: Lange Arbeitszeiten, ohrenbetäubender Lärm, schlechte Luft, harte Aufseher, jederzeit Lohnabzug bei “schlechter Arbeit”, niedrigeres Gehalt für Frauen bei gleicher Arbeit. Ist es nicht heute noch oft so?
Unrealistisch erscheint nur eine Sache: Erfordert es nicht nur eine gehörige Portion Mut sondern auch Dummheit an der Stelle von Margarethe von Zug, sich so radikal von allen Zwängen zu befreien, mit ihrer Familie und Herkunft zu brechen und einen gebildeten, aber mittellosen Dichter zu heiraten? Ist oder war das wirklich möglich? Dies schmälert die Geschichte aber nur geringfügig. Des Weiteren ist anzumerken, dass die 24 langen Kapitel, die abwechselnd erzählt werden, als Parallelgeschichte, unterschiedliche Spannungsgrade haben. Die Handlungsstränge mit der Adligen Margarethe von Zug sind teilweise etwas langatmig und langweilig geraten, fast scheint es, dass eine identische Seitenzahl mit den Kapiteln von Clara erreicht werden sollte. Aber vielleicht ist es auch nur ein geschickter Zug von Frau Beyerlein; das Geplänkel der “lieben, guten Gesellschaft” langweilt den Leser.
Im Anhang befinden sich die Ausführungen “Einige historische Erläuterungen” und “Im Roman erwähnte historische Persönlichkeiten”, mit deren Hilfe sicherlich die ausführlichere Beschäftigung mit dem Thema Frauenbewegung und der Gleichberechtigung beider Geschlechter fortgeführt werden kann.
Faszinierend an Gabriele Beyerleins Büchern ist die perfekte Verknüpfung zwischen Geschichte und individuellen Schicksalen. Das starke Interesse an Frauengeschichte prägt ihre Trilogie, natürlich verbunden mit der Hoffnung für stärkere Rechte der Frauen und einer allgemeinen Standpunktänderung; die Rolle der Frau in der Gesellschaft.
Eine sehr empfehlenswerte Literatur für historienintessierte Mädchen im Alter von 15/16.

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Diese Rezension wurde verfasst von Fe.
Veröffentlicht am 01.01.2010

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