Es war einmal Indianerland

Autor*in
Mohl, Nils
ISBN
978-3-499-21552-0
Übersetzer*in
Ori. Sprache
Illustrator*in
Seitenanzahl
343
Verlag
Rowohlt
Gattung
Ort
Reinbek
Jahr
2011
Lesealter
16-17 Jahreab 18 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Klassenlektüre
Preis
12,99 €
Bewertung
eingeschränkt empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Der Ich-Erzähler, Boxer und 17 Jahre alt, weiß, dass er unschlagbar ist und gerät das erste Mal an seine Grenzen: Er steht zwischen zwei Mädchen und kann sich erst spät entscheiden, er gerät an Schläger auf einem Festival, er erfährt, dass sein Vater seine Stiefmutter ermordet und flieht vor sich selbst, weiß nicht wohin. Der Gefühls- und Gedankensturm erfährt sein meteorologisches Pendant und eine durcheinandergewirbelte Erzählweise, die die Lektüre kennzeichnet.

Beurteilungstext

Der Autor macht es seinen Lesern fürwahr nicht leicht. Seine Erzählweise ist an Arno Schmidt geschult und der Text einer Handlung von 11 aufeinanderfolgenden Tagen in nahezu 60 Textsplitter zerfieselt, die so wild durcheinander gewirbelt sind, dass der Leser manches Mal vor Unbegreiflichem steht, das erst Dutzende Seiten später seine Erklärung findet. Dass dieses Durcheinander den Seelenzustand des Pubertierenden, hier aber Reifenden widerspiegelt, kann ich nur interpretierend vermuten; dass der extreme Sturm, der Tage lang ein Festival durcheinander bringt, die inneren Stürme des Helden symbolisieren, ist literarisches Mittel, an und für sich schon ausreichend genug. Aber vielleicht spürte der Autor, dass das zu offensichtlich ist, und ließ deswegen auch noch die Textteile verwirbeln. Da helfen dann auch nicht die kryptischen Inhaltsverzeichnisse, die den beiden Abschnitten Jackie/ Edda vorangestellt sind.
Damit schließt der Autor gleichzeitig die Leserschaft der Pubertierenden aus, soviel Durcheinander akzeptieren erst Ältere, Reifere. Denen mag das dann sogar Spaß machen, das Gewirre zu entfädeln. Insofern ist dieses Buch sogar für den Deutschunterricht z.B. der 10. Klassen zu empfehlen, als Beispiel für literarische Mittel anhand eines Sujets, das für sie wirklich spannend sein kann.
Die Handlung ist an sich schon vielschichtig genug. Der Held ist Boxer, ein Sportler, der die Ethik des Standes so ernst nimmt, dass er sich mit seinen Aggressionen und Gefährdungen in zwei Persönlichkeiten spaltet: den Boxer und den Jungen. In welchem Verhältnis die Beiden stehen, erfährt man mit letzter Sicherheit erst nach der Hälfte der Lektüre, auch wenn es schon zuvor etliche Hinweise darauf gab, die man erst im Nachhinein richtig verstehen wird. Eine ähnliche Persönlichkeitsspaltung - bewusst taucht der Kommentar auf “ich bin nicht schizo” - konstruiert er zwischen dem Vater und ihm. Der Vater existiert nur als “Zöllner”, das ist der Vater des Boxers Mauser. Der Ich-Erzähler spaltet dies bis fast zum Schluss von sich ab.
Eine entsprechende Dualität bilden die beiden Mädchen, in die er sich verliebt: in die sexy Jackie, die ihn gleich zu Beginn warnt: verliebe dich nicht in mich! und in die handfeste und bodenständige, selbstbewusste und ihn hartnäckig verfolgende Edda, die letztlich auch den Sieg davon trägt. Während die eine nur sinnlich reagiert auf alle und alles, hat die andere ein Ziel vor Augen, dass sie konsequent verfolgt - beide sind beliebte Projektionsfiguren männlicher Fantasien.
Und Männlichkeit spielt eine große Rolle: in den Kämpfen des Zwiegespaltenen, die praktisch kein Ende nehmen, immer aber Bewunderer seiner Fähigkeiten, Fertigkeiten, Fairness finden. Er ist ein (Western-)Held, der selbst gegen Unfairness obsiegt, auch wenn es zeitweise anders aussieht. Die Westernwelt greift allenthalben, sei es in Form der jungen Brüder eines Freundfeindes, sei es als Indianerfantom, das hier und da auftaucht und ihm letztlich den Weg zur entfleuchenden Edda weist. Die Männlichkeit des Vaters greift in negativer Form zum Mord an seiner geliebt-gehassten Frau, auch hier schon das Ambivalente des Lebens des jungen Mannes. Eine Reflexion der Welt der Gewalt überlässt der Autor dem Leser.
Die gesamte Erzählung lebt durch eine Sprache, die Arno Schmidt gutgeheißen hätte: assoziativ, sprachspielerisch und eloquent. Nicht unbedingt die Sprache eines 17-jährigen Boxers. Die wird aber m.E. nicht unterstützt, sondern gestört durch die Zersplitterung des Erzählflusses in die unendlich vielen, wild und nicht nachvollziehbaren Entzerrungen, die erst im letzten Teil weitgehend zwischen den letzten drei Tagen der Handlung wechseln. Im Anfang reichen die Textsplitter acht Tage weit, nicht etwa auf einander verweisend, sondern direkt wechselnd (Die ersten “Kapitel” springen von Tag 5 zu 4,1,2,1,8,1,2,5,3,4,2,6,4,6,8,8,1,8; dazwischen noch Einschübe zu Wetter, Personen, der Mordgeschichte).
So liegt hier die Geschichte eines Jungen vor, der erwachsen wird, weil er unversehens in allen Bereichen gefordert wird und trotz aller inneren (und äußeren) Stürme heil daraus hervor geht. Die Innenwelt wird ausschließlich in der Außenwelt dargestellt; das Mitdenken des Lesers ist vonnöten, sonst wird er scheitern. cjh11.3

Für namentlich oder mit Namenskürzel gekennzeichnete Beiträge und Beurteilungen liegt die presserechtliche Verantwortung beim jeweiligen Autor bzw. bei der jeweiligen Autorin.

Diese Rezension wurde verfasst von cjh.
Veröffentlicht am 01.01.2010

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