Elender Krieg 1914 - 1919

Autor*in
ISBN
978-3-03731-119-6
Übersetzer*in
Budde, Martin
Ori. Sprache
Französisch
Illustrator*in
Seitenanzahl
144
Verlag
Edition Moderne
Gattung
Comic
Ort
Zürich
Jahr
2014
Lesealter
14-15 Jahre16-17 Jahreab 18 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Preis
34,00 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

„Elender Krieg. 1914 – 1919“, eine Graphic Novel des französischen Comickünstlers Jacques Tardi, ist eine schonungslose Darstellung vom blutigen Alltag des Ersten Weltkrieges in den Schützengräben an der Westfront, in denen Millionen Soldaten den Tod fanden. Ergänzt wird der Comic durch einen ausführlichen Autorentext des Historikers Jean-Pierre Verney sowie einige historische Dokumente im Anhang.

Beurteilungstext

Eigentlich handelt es sich bei „Elender Krieg“ gleich um zwei Darstellungen des Ersten Weltkrieges: In der ersteren (S. 3-93) präsentiert uns der Comicautor- und zeichner Tardi nach „Soldat Varlot“ und „Grabenkrieg“ nun ein weiteres Mal seine Sicht auf die Geschichte des von den Zeitgenossen so genannten „Großen Krieges“; diesmal fällt der Comic noch radikaler und schonungsloser aus, sowohl in seiner Ästhetik als auch in seiner Haltung zum Krieg. In der zweiteren (S. 95-134) sorgt der Historiker Jean-Pierre Verney für eine eher nüchterne, an die Grundsätze der historischen Quellenkritik gebundene Chronologie und Bilanz der Ereignisse zwischen 1914 und 1919, illustriert durch zahlreiche Fotodokumente. Eine Geschichtskarte zum Verlauf der Westfront (1914-1918) sowie zwei weitere zur politischen Geografie Europas vor und nach dem Krieg befinden sich im Anhang, ebenso ein Abdruck des 14-Punkte-Programmes des US-Präsidenten Wilson zur angestrebten Neuordnung der Internationalen Politik nach 1918.

Mit seinem Comic-Epochalepos erweist sich Tardi erneut als ein radikaler Vertreter des Neo-Naturalismus in der grafischen Literatur. Seine schonungslose und desillusionierende Darstellung des Ersten Weltkrieges bietet einzig Raum für die Hässlichkeiten und Obszönitäten des Tötens und Sterbens in den Schützengräben der Westfront zwischen Ypern und Mülhausen. Zerfetzte Körper, aufgerissene Schädel mit heraushängenden Hirnteilen, völlig enstellte Kriegsversehrte, verwüstete Städte und Landschaften bilden die immer wiederkehrenden Motive der langgestreckten, breitformatigen Panels. Beginnt die Erzählung für einen Tardi-Comic recht farbenfroh, weicht die Farbe in deren Verlauf einem mehrstufigen Grau-Kolorit und wird nur noch akzentuierend oder metaphorisch eingesetzt; etwa wenn ein blutroter Himmel über eine an der Maas gelegene, von deutschen Truppen völlig zerstörte Kleinstadt aufzieht und sich diese Szenerie an der Wasseroberfläche des Flusses spiegelt, ergänzt durch Tardis angesichts des sich dahinter verbergenden menschlichen Leids recht zynisch wirkendem Blocktextkommentar: „Dieses Städtchen, es kotzte sich regelrecht aus, direkt in die Maas.“ Hingegen bietet der Autor keinen Platz für Herosierungen oder sonstige Sinngebungen, sei es, dass aus Jungen Männer würden oder Patrioten tapfer ihr Heimatland verteidigten. Stattdessen zeugt „Elender Krieg“ von der vollkommenen Sinnlosigkeit des vierjährigen Krieges, der immerhin mehr als zehn Millionen tote Soldaten forderte. In einer beeindruckenden Montage kontrastiert Tardi ein Bild aus dem Inneren eines Schlachthofes, in dem eben getötete Schweine und Schafe ausgenommen und zerlegt werden, mit dem Anblick eines von getöteten Soldaten übersäten Schlachtfeldes, wiederum durch einen scheinbar zynischen Kommentar begleitet: „Unfassbar, wie viel Fleisch da verschwendet wurde, bloß um uns wie Schafe zur Schlachtbank zu führen!“ Entsprechend löst der Autor auch die klassischen Freund-Feind-Schemata auf; die wahren Feinde sind nicht etwa die im Schützengraben gegenüber liegenden (deutschen) Soldaten, sondern die eigenen Generäle und Politiker in der Heimat, die Europa zu Beginn des 20. Jahrhunderts in eben jenes Schlachthaus verwandelt haben.

Wie schon in „Grabenkrieg“ geht Tardis Zeichnungen eine penible Recherche von Fotografien, Frontpostkarten, Propagandaplakaten, Filmdokumenten und sonstigen visuellen Quellen voraus. Teilweise erkennt man in den Panels Ikonen und Schlagbilder des Ersten Weltkrieges wieder, so etwa bei den Abbildungen der Kriegsversehrten mit ihren völlig enstellten Gesichtern, wie man sie mittlerweile auch aus Geschichtslehrbüchern kennt. Bilder vom Schrecken des Krieges zur Erziehung zum Frieden also? Da Tardi seinen moralischen Rigorismus nicht versteckt und mit einem quasidokumentarischen Erzählstil verbindet, lässt sich dagegen sicher nichts einwenden.

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Diese Rezension wurde verfasst von mz.
Veröffentlicht am 01.01.2010