Eines Nachts im Paradies

Autor*in
Schubiger, JürgBerner, Rotraut Susanne
ISBN
978-3-7795-0675-1
Übersetzer*in
Ori. Sprache
Illustrator*in
Berner, Rotraut Susanne
Seitenanzahl
24
Verlag
Hammer Peter
Gattung
Buch (gebunden)BilderbuchMärchen/Fabel/Sage
Ort
Wuppertal
Jahr
2022
Lesealter
4-5 Jahre6-7 Jahre8-9 Jahre10-11 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
BüchereiFreizeitlektüreKlassenlektüreVorlesen
Preis
18,00 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Eines Nachts im Paradies...entwickelt sich zwischen Adam und Eva ein philosophisches Streitgespräch über die Zählbarkeit der Sterne am Himmel, über die Ewigkeit und die Perfektion des Paradieses (hier ein zoologischer Garten), in dem es nichts mehr zu wünschen gibt. Am Ende dieser klugen und wunderschön illustrierten, etwas anderen Paradieserzählung des vielfach preisgekrönten Duos Jürg Schubiger (Psychologe und Autor, gestorben 2014) und Rotraut Susanne Berner (Illustration) steht nicht weniger als der erste Kuss der Menschheit.

Beurteilungstext

Schon das Cover des Buches ist besonders gestaltet: Die Lesenden werden durch einen ausgestanzten Kreis (Verweis auf die Ewigkeit?), hinter dem sich der Vollmond verbirgt, ins Innere des Buches geleitet. Auf der Titelseite begegnet uns ein bunter Vogel, der einen Granatapfelkern im Schnabel trägt und auf einer Muschel sitzt. Diese enorm vielschichtige Zeichen- und Symbolhaftigkeit in den Illustrationen zieht sich durch das gesamte Buch hindurch und eröffnet enorm viel Raum zum (gemeinsamen) Philosophieren. Wer die jahreszeitlichen Wimmelbücher von R.S. Berner kennt, weiß, wie unverwechselbar und farbenprächtig ihr grafischer Stil ist und wird sich vermutlich auch in dieses Buch verlieben. Bis auf die erste und die letzte Doppelseite ist der begleitende, kurze Text auf einem schmalen weißen Streifen am unteren Bildrand platziert, sodass der Fokus auf den verdichteten, inhaltlich fast schon explodierenden Bildwelten liegt. Die wörtliche Rede von Adam und Eva ist nicht in Anführungszeichen gesetzt worden, sondern ihre Redeanteile sind dezent farbig - dadurch nimmt sich der Text optisch nochmal ein wenig zurück.
Auf der ersten Doppelseite (ohne Text) befinden wir uns in einer blau-grauen Dunkelheit und es schwirrren verschiedene Dinge über die Bildfläche. Ich erkenne darunter ein Gingko-Blatt, eine angedeutete Doppelhelix, Sonne, Mond, Planeten, Einzeller, Kaulquappen, Algen und vieles mehr, was ich aber nicht eindeutig benennen kann und merke, dass ich ins Schwitzen komme, wenn ich mir vorstelle, das Buch zusammen mit einem Kind anzuschauen und Fragen zu dieser Seite beantworten zu müssen. Ich vermute, dass es sich bei diesen Abbildungen um Elemente handelt, die alle etwas mit der Entstehung bzw. dem Ursprung von Leben zu tun haben. Im Hintergrund deutet sich hier schon die auf den folgenden Seiten beibehaltene klare Bildeinteilung in Firmament, Luft und Erdboden ab. Deutlich hervor tritt einzig und allein eine kleine rote Kugel, die sich später als Granatapfelkern zu erkennen geben wird und sich hier allein durch ihre Farbigkeit vom Ton-in-Ton gehaltenen Hintergrund abhebt. Die nächste Doppelseite ist bunt und zeigt Eva und Adam (einen Mann of Colour) nackt auf weichem Moos liegend, die in den Himmel schauen. Um sie herum schwirren die gleichen Elemente durchs Bild wie zuvor, dieses Mal aber sehr viel deutlicher abgebildet und farbenprächtig ausgestaltet. Der Granatapfelkern scheint sich auf der rechten Bildhälfte eingesät zu haben und wächst dort von Doppelseite zu Doppelseite zu einem stattlichen Baum heran. Ein weiteres wiederkehrendes Element neben dem Granatapfel (Symbol für Fruchtbarkeit) ist der immer fülliger werdende Mond, der am Ende des Buches wieder als Vollmond erscheint, sowie der sich am Firmament bewegende Abendstern. Die sprachliche Aushandlung zwischen Adam und Eva wird so in einen für die Lesenden leicht einzuordnenden zeitlichen Rahmen gebettet (Neumond bis Vollmond, also etwa ein halber Monat), der allerdings nicht mit der Evolutionsgeschwindigkeit um sie herum synchronisiert ist. Während Adam im Folgenden nun bestreitet, dass Eva dazu in der Lage wäre, die Sterne am Himmel zu zählen, Eva aber erwidert, dass das nur eine Frage der Zeit (nämlich der einfachen oder der doppelten Ewigkeit) sei, kommen zahlreiche Fische, Amphibien und andere Meeresbewohner:innen, sowie Pilze, hinzu. „Gibt es das, eine doppelte Ewigkeit?“, fragt Adam daraufhin und die Evolution um sie herum schreitet munter weiter voran. Von Dinosauriern über riesige Schnecken, Kängurus bis hin zu Tauben, Hunden und Katzen betreten die Tiere, deren Größenverhältnisse oftmals surrealistisch groß dargestellt sind, die Bildfläche und verlassen sie wieder. Sowohl die Botanik, als auch die Tierwelt um die beiden herum ändert sich stetig – R.S. Berner muss die Evolutionsgeschichte vorher ausgiebig studiert haben, um all diese Lebewesen in der (wahrscheinlich evolutionsgeschichtlich korrekten) Reihenfolge abbilden zu können. Das Spannende ist für mich, dass es auf der Bildebene quasi zwei „Bühnen“ gibt: Einmal die der sich stetig verändernden Umwelt und darin eingebettet die Beziehungs- und Handlungsebene zwischen den beiden Protagonist:innen. Auf den ersten Blick scheinen diese beiden Ebenen getrennt voneinander zu sein, denn Adam und Eva nehmen das „Um-sie-herum“ nicht wahr. Aber im Verlauf der Unterhaltung und der sich verändernden Stimmung zwischen den beiden lassen sich auf der „Nebenbühne“ deutliche Bezüge zu ihrem Streitgespräch entdecken. So brüllt und flucht Adam darüber, dass Eva das Paradies verleidet ist und sie sich ein „Weniger“ anstatt eines (noch) „Mehr“ wünscht. Gleichzeitig fahren Tiere und Pflanzen ihre Stacheln aus (Kakteen, andere dornige Pflanzen, Stachelschwein, Wildschwein) und auf einmal hängt eine züngelnde Schlange im Granatapfelbaum und ein Gewitter zieht im Hintergrund auf. Als Eva weint, regnet es in Strömen und vom Bildrand glotzt eine traurige Kuh zu den beiden herüber. Adam ist mit der Situation offensichtlich überfordert und berührt Eva zuerst leicht an der Schulter und „erfindet“ dann vor lauter Ratlosigkeit eine weitere Berührung, nämlich die der Lippen: den ersten Kuss (der Menschheit) - auf den noch viele weitere folgen werden.
An dieser Stelle möchte ich einen winzigen Kritikpunkt nennen: Leider ist es mal wieder der männliche Protagonist, von dem hier als Erstes eine erotische Annäherung ausgeht und Eva wird die passive, empfangende Rolle zugeschrieben. Im Vergleich zur biblischen Paradiesgeschichte, in der es vorrangig um Schuld, Sühne und Scham und letztendlich um die göttliche Vertreibung aus ebendiesem geht, begrüße ich diese Umschreibung hier sehr, aber es ist (auch in der Kinder- und Jugendliteratur) immernoch Luft nach oben, wenn es darum geht, das Patriarchat und damit verbundene stereotype Rollenmuster endgültig abzuschaffen. Anders als im Alten Testament schämen sich Adam und Eva aber nach dem Küssen glücklicherweise nicht wegen ihrer Nacktheit, sondern sitzen mit vielen anderen Tieren bei Vollmond im Granatapfelbaum und genießen gemeinsam die roten Kerne / ihre Fruchtbarkeit / das Leben...
Alles in allem finde ich es ganz wunderbar, wie und vor allem WAS hier dargestellt wird: Ein spannender Diskurs über´s Mensch-Sein, an dessen Ende die Entdeckung von Zärtlichkeit, körperlicher Lust und Liebe steht – wie großartig, dass dieses Buch 8 Jahre nach dem Tod des Schweizer Autor´s mit so viel Hingabe illustriert und noch herausgegeben wurde!

Anmerkung

Dieses Buch ist auch für Erwachsene superspannend! Ich kann es mir auch gut als Klassenlektüre in einer ersten oder zweiten Klasse vorstellen, weil es so viele essentielle Fragen aufwirft, die es (unabhängig vom Alter) zu diskutieren gilt. Als Lehrperson würde ich mir wünschen, dass es noch eine Art Begleitheft dazu gäbe, in der die verschiedenen Symbole/Tier- und Pflanzenarten benannt werden würden, um dann an einigen Stellen vielleicht auch den Bogen zur biologischen Fachwissenschaft spannen zu können.

Für namentlich oder mit Namenskürzel gekennzeichnete Beiträge und Beurteilungen liegt die presserechtliche Verantwortung beim jeweiligen Autor bzw. bei der jeweiligen Autorin.

Diese Rezension wurde verfasst von nico; Landesstelle: Sachsen-Anhalt.
Veröffentlicht am 12.12.2022

Weitere Rezensionen zu Büchern von Schubiger, Jürg

Schubiger, Jürg

Zwei, die sich lieben

Weiterlesen

Weitere Rezensionen zu Büchern von Berner, Rotraut Susanne

Berner, Rotraut Susanne

Zuhause in Wimmlingen

Weiterlesen
Berner, Rotraut Susanne

Geburtstag in Wimmlingen

Weiterlesen