Ein leichter Tod

Autor*in
Ataollahi, Mojgan
ISBN
978-3-7017-1665-4
Übersetzer*in
Baghestani, Susanne
Ori. Sprache
Persischen
Illustrator*in
Seitenanzahl
182
Verlag
Nilpferd in Residenz
Gattung
Erzählung/Roman
Ort
St. Pölten
Jahr
2015
Lesealter
ab 18 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Bücherei
Preis
17,90 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

"Ein leichter Tod" - danach sehnt sich Mojgan Ataollahi. Sie hält es nicht mehr aus an der Seite ihres gewalttätigen und sie ständig demütigenden Ehemannes Madjid, den sie gegen den Willen der Eltern geheiratet hatte. Aber ihre Tochter Matissa, ihre Eltern und auch Freunde lieben und brauchen sie. So erzählt die Autorin in diesem autobiografischen Roman vom weiblichen (Über-)Leben im heutigen Iran.

Beurteilungstext

Ataollahis Roman über ihre manchmal auch tragikomischen Überlegungen und Versuche, Selbstmord zu begehen endet glücklicherweise nicht mit dem Tod, den sie manchmal so heftig und für die Leserin nachvollziehbar herbeisehnt, dass es schmerzt. Beispielsweise, wenn sie schildert, wie ihr Mann sie zwingt gewalttätige Videos anzuschauen, sie dabei auf die Knie zwingt und ihr ins Ohr flüstert, was er davon mit ihr anstellen will. (S. 14) Aus lauter Angst vor ihm, dreht sie die Gashähne wieder ab, die sie schon aufgedreht hat. (S. 15) Schließlich hört sie von einer Reistablette, die einen schmerzlosen Tod versprechen. Sie besorgt sich eine solche, ekelt sich aber dann vor der Vorstellung, dass eine Kakerlake darüber laufen könnte. Später, nach der endlich vollzogenen Scheidung, der Rückkehr aus der Isolation nach Teheran und nachdem sie neuen Lebensmut gewonnen hat, erfährt sie, dass der Tod mit dieser Tablette keineswegs schmerzlos vonstatten gehen würde, im Gegenteil - einen ganzen Tag lang dauert das qualvolle Sterben! (S. 180)
Ataollahis Sprache nimmt mich als Leserin schnell gefangen, trotz der Fremdheit und Ferne dieses Landes und des Lebens dort. Die poetische Sprache und die schonungslose Ehrlichkeit, mit der sie erzählt, trägt einen schnell in den Fluss der nicht chronologisch erzählten Erinnerungen. Zugleich spiegelt sich in ihrem Buch die heutige iranische Gesellschaft, für die sie immer neue, starke Bilder findet. Ein Beispiel: "Dieses Land gleicht dem fruchtbaren Schoß einer Frau. In ihm ist alles vorhanden, was zur Entfaltung nötig wäre. Man kann in hm heranwachsen und gedeihen, aber wenn er sich nicht rechtzeitig öffnet und gebiert, wenn man zu lange darin verweilt, dann verdorrt der Verstand." (S. 8/9)
Bücher und Notizen sind für sie überlebenswichtig . ("'Buch' war in unserer ehelichen Wohnung zu einem verbotenen Wort erklärt worden. Aber genau ab diesem Punkt wurden mir Lesen und Schreiben zum einzigen Antrieb, um weiterzuleben." S. 93) und genau dies weiß ihr Ehemann auf gemeinste Weise zu bestrafen. Als er sie eines Tages beim Lesen während des Kochens überrascht, wirft er all ihre Bücher und Notizen ins Feuer: "Das Blut gefror mit fast in den Adern. Die Blutkörperchen rieben sich wie gezackte Dreiecke eines verrosteten Zahnrads aneinander, wurden vorangetrieben, durchbohrten die Adern und drangen unter meine Haut. Diese scharfkantigen Dreiecke .... spürte ich in meinem ganzen Körper." (S. 97)
Im Aufschreiben ihrer Erinnerungen findet sie zu sich und ihrer Freiheit als Frau und die Reistablette, die sie in einem Federmäppchen aufbewahrt, erinnert sie daran, "dass ich zwar keinen Grund habe, mein Leben fortzusetzen, jedoch tausend Gründe, es zu beenden." Sie schließt mit der optimistischeren Einsicht, dass ihre Reise in die Vergangenheit sie in gewisser Weise mit ihrem Leiden ausgesöhnt hat. Sie würde denselben Weg wieder gehen, "weil dieser dunkle und enge Pfad eine Frau aus mir gemacht hat, die jeden Morgen beim Aufwachen nach ihrer Weiblichkeit sucht.... In einer intakten Gesellschaft versuchen Frauen nicht, ihrem Geschlecht zu entkommen und/oder vor ihm zu fliehen. ... Für eine Frau ist es vor allem nötig, die Fenster zu öffnen, damit frische Luft an ihr Gesicht gelangen kann. (181/182)

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Diese Rezension wurde verfasst von ASR.
Veröffentlicht am 01.04.2016