Ein Geburtstag

Schlagwörter

• Behinderung
• Familie
• Ungleichheit

Teaser

Ein Junge freut sich auf seinen Geburtstag. An diesem Tag wird er wie jedes Jahr seinen Bruder wiedersehen. Aber der Bruder ist behindert und wird weder die Geburtstagkerzen auspusten können noch alle die fröhlichen Dinge machen, die er so genießt. Warum ist das so? fragt sich das Kind und bereitet dem Bruder einen zärtlichen Empfang. Die unbeantwortbare Frage durchzieht das gesamte Buch . Die einfühlsamen Bilder und der
knappe, monologisch gefasste Text lässt die Leser nachdenklich zurück.

Beurteilungstext

Der Titel ist irritierend lapidar: Ein Geburtstag. Geburtstage sind ganz besondere Tage im Jahr. Kinder freuen sich meist schon wochenlang darauf, weil der Tag Überraschungen verspricht und Geschenke. Was macht den Geburtstag, von dem das Bilderbuch erzählen will, zu einem besonderen unter den ohnehin doch schon besonderen Tagen?
Erst ganz am Ende des Buches, wenn man die Bilder lange betrachtet und den knappen Text wahrscheinlich sogar mehrmals gelesen hat, begreift man, dass die Erklärung bereits im Titel enthalten ist. Ein Geburtstag ist eben nicht nur der Tag, an dem fröhlich gefeiert wird und man Geschenke bekommt, sondern es ist der Tag gewesen, an dem ein Mensch auf die Welt kommt, also geboren wird.
Der Geburtstag, von dem das Buch erzählen will, ist zum Schicksalstag für zwei Brüder geworden, von denen der eine offensichtlich behindert geboren worden ist. Jedes Jahr feiern sie ihren Geburtstag und auch Weihnachten zusammen, aber nur eines der Kinder kann mit dem Fahrrad fahren, das es geschenkt bekommt oder die Kerzen auspusten. Das andere Kind liegt still auf der Matratze neben dem Kinderbett, und nur an ganz wenigen, sparsam gesetzten Details erkennt man seine Behinderung.
Mit großem Zartgefühl erzählt das Bilderbuch von der Beziehung der Zwillinge zueinander. "Morgen wirst du kommen", heißt es da, "es ist unser Geburtstag. Ich bin aufgeregt wie immer." Hier spricht das gesunde Kind, das sich auf den Bruder freut und sich darauf vorbereitet, ihn zu treffen. Es legt für den Bruder die zweite Matratze neben sein Kinderbett, holt die Lieblingskassette heraus und erinnert sich an die Lieblingsgeschichte vom Mann, der die Treppe heraufkommt. Das Fotoalbum liegt bereit, auf dem sie beide als Babys im Kinderwagen zu sehen sind, aber schon hier schaut es fragend zu seinem kleinen Bruder hinüber. Warum hat dieses Schicksal den Bruder getroffen und nicht ihn?
Diese quälende und im Grund nicht beantwortbare Frage durchzieht das ganze Buch. Ihr wird äußerst sensibel und mit großem Taktgefühl in den großformatigen, wundersam detailreichen Bildern nachgegangen Der knappe Text verzichtet dabei ebenso auf Erklärungen wie das die Bilder tun. Aber man kann sehen, wie liebevoll der Bruder sich auf das Wiedersehen vorbereitet, wie einfühlsam er das bereitstellt, woran der andere Spaß haben wird. Der kranke Bruder wird genau fühlen, wenn den gesunden Bruder Traurigkeit überfällt und er wird zum Hüter aller seiner Geheimnisse werden, denn nur ihm wird er sie anvertrauen.
Dieses Buch nimmt man mehrmals in die Hand und bleibt nachdenklich und betroffen zurück.
Es birgt auf jeder Seite viele Anlässe, über das so schwierige Thema ins Gespräch zu kommen und sich darüber auszutauschen. Dieser Raum ist zum Glück nicht nur ein Kommunikationsraum für Fakten, die mit dem Thema zusammenhängen, sondern ein Raum, im dem Fantasien und unbewusste Ängste und Assoziationen zur Sprache kommen können - wenn man sich denn darauf einlässt.