Dreckstück

Autor*in
Beauvais, Clementine
ISBN
978-3-551-58337-6
Übersetzer*in
von der Weppen, Anette
Ori. Sprache
Französisch
Illustrator*in
Seitenanzahl
82
Verlag
Carlsen
Gattung
Ort
Hamburg
Jahr
2015
Lesealter
12-13 Jahre14-15 Jahre16-17 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Preis
12,40 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Eine Clique Pariser Abiturienten schwänzt den Unterricht und trifft sich bei Gonz, in dessen eigenem Apartment sie ungestört sind. Auf dem Weg dorthin begegnet ihnen ein kleines schwarzes Schulmädchen, auf dessen Kopf Läuse krabbeln. Angeekelt nehmen sie das “kleine Dreckstück” mit und entlausen das verängstigte sechsjährige Kind gemeinschaftlich stundenlang auf entwürdigende Weise. Die Polizei sucht und findet die traumatisierte, kahlgeschorene Elikya ausgesetzt in einem Aufzug...

Beurteilungstext

“Anne - Laure, Florian und Gonzague haben fünf Jahre bekommen, Èlise und ich drei... Die Zeitungen sprachen von einem Sozialdelikt, einer rassistisch motivierten Tat, einem Verbrechen zwischen Reich und Arm.” (S. 80)
In der Stellungnahme von Daniel, dem als harmlos und sensibel geltenden Ich - Erzähler der Geschichte, hört sich das so an: “Was passiert ist, haben wir nicht besonders geplant... die Leute wollen immer wissen warum, warum, warum - aber es gibt kein Warum, ist euch das noch nie passiert, dass es kein Warum gibt?”(S.11)
Diese Frage Daniels - gestellt von einem jugendlichen Erzähler, gerichtet an jugendliche Leser - ist eine Aufforderung zum Nachdenken über Ursachen für alltägliches, moralisch verwerfliches und kriminelles Handeln. Der Erzählstoff ist Schülern oberer Klassen nicht fremd. Er berührt emotional und ist unter dem Gesichtspunkt der Willkommenskultur für Migranten besonders brisant. Insofern kann diese Erzählung literarisches Lesen anhand eines aktuellen Themas befördern. Der Text, angereichert mit vielen Dialogen und inneren Monologen des Ich - Erzählers David, ist gut geeignet, Beweggründe für Ansichten und Handlungen der Figuren herauszufinden und zu bewerten. Die chronologisch erzählte dramatische Geschichte ist szenisch in vier kurze Kapitel gegliedert, die sich jeweils in einem Leseakt lesen lassen.
-Einleitend lernt der Leser die Jugendlichen in ihrem sozialen Umfeld kennen. Ihre Stimmung ist an diesem verregneten Tag aus verschiedenen Gründen spannungsgeladen. Aus begüterten Verhältnissen stammend, mokieren sie sich über Obdachlose: ”Mit diesem Viertel geht es echt bergab...Diese Penner überall...”
Gonz, unachtsam beim Überqueren der Straße, beschwert sich über einen ausweichenden Rollerfahrer.: “So viele dreckige Neger unterwegs , die alle nicht fahren können... Habe ich in meinem Land nicht das Recht, über die Straße zu gehen, wo ich will...”
Florian packt ein kleines Mädchen am Schal.: “Du kleines Dreckstück. Du bist ja völlig verlaust. Du ekelst uns an mit deinen Parasiten. Du sprechen Französisch? Du bist dreckig, hast du das verstanden...”
- Sehr detailliert schildert David im zweiten und längsten Kapitel (S.22 bis 48) den grausamen Umgang mit dem Mädchen. Sein eigenes Unbehagen über die Ereignisse überträgt sich auf den Leser. Am Heizungsrohr mit ihrem Schal festgebunden, wird das Mädchen gemeinschaftlich entlaust. Sie ergötzen sich am Umgang mit den Parasiten, die Ängste und Gefühle des Mädchens lassen sie unberührt. Ihr “Geflenne” stört sie bei ihrer elitären, arroganten Konversation. Erst nach einer Suchmeldung im Radio wegen Kindesentführung entwickelt sich Schuldbewusstsein.
-David und Èlise vergewissern sich bei Nachbarn, ob dort das Weinen des Mädchens und das laute Brummen des Haarschneiders zu hören sind. Ein erblindeter alter Mann und seine gebrechliche Frau erwarten gerade den Pflegedienst, und die beiden Jugendlichen lassen sich auf die Verwechslung ein, entkleiden und baden die alte Frau... Es fällt Schülern nicht leicht, diesen simultan zur Haupthandlung eingefügten Erzählstrang inhaltlich einzuordnen.
- Die Autorin findet im letzten Kapitel weder für ihren Ich - Erzähler David noch für ihre Leser eine befriedigende, befreiende Konfliktlösung. Statt dessen bietet der offene Schluss beklemmende Sprachbilder als Aufforderung zum Nach - und Weiterdenken an:
“Wir fünf in dem Polizeibulli, wie wir unsere Köpfe an den Wänden reiben... uns allen juckt und kribbelt der Schädel...Wie wir schreien und betteln, man solle uns doch kratzen lassen...
Die kleine Ellikya übermittelt später David einen Brief : “Vor drei Jahren wusste ich nicht, was ich sagen soll, aber jetzt weiß ich es. Ich bin kein “DRECKSTÜCK”, und ich bin auch nicht verlaust, das seid höchstens ihr selber. Ihr seid diejenigen, die es überall juckt. Ihr seid die Dreckstücke.”
“...Beim Lesen dieser Zeilen fing alles gleich wieder an zu jucken. Je mehr man an Läuse denkt, desto mehr kribbelt es.
UND WIE ICH SEHE, GEHT ES BEI EUCH AUCH SCHON LOS - damit endet die dramatische Geschichte.


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Diese Rezension wurde verfasst von Kra.
Veröffentlicht am 01.10.2015

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