Djadi, Flüchtlingsjunge
- Autor*in
- Härtling, Peter
- ISBN
- 978-3-407-82164-5
- Übersetzer*in
- –
- Ori. Sprache
- –
- Illustrator*in
- –
- Seitenanzahl
- 116
- Verlag
- –
- Gattung
- Buch (gebunden)Erzählung/Roman
- Ort
- Weinheim
- Jahr
- 2016
- Lesealter
- 10-11 Jahre12-13 Jahre
- Einsatzmöglichkeiten
- Bücherei
- Preis
- 12,95 €
- Bewertung
Teaser
Kommt ein Kind in eine WG ... Was sonst Stoff zum Lachen in Filmen wie "Drei Männer und ein Baby" bietet, gerät hier zur Parabel über Migration in Deutschland. Wie gehen gutherzige Menschen mit einem fremden Kind um? Was erleben sie mit ihm und mit unserer Gesellschaft?
Beurteilungstext
In eine WG älterer Erwachsener kommt ein Kind namens Djadi. Mehr weiß man als Leser zunächst nicht. Djadi ist aus dem Nichts in Deutschland aufgetaucht und er braucht Hilfe. Doch welche Hilfe benötigt er am meisten? Was ist richtig, was ist falsch? Was unterstützt, was unterdrückt?
Das Buch ist ein kleines Kabinettstück, in dem große und kleine Probleme von Kindern in der Migration verhandelt werden. Ein Verhandlungsergebnis, eine Musterlösung präsentiert es nicht. Peter Härtling ist hier mehr ein Dokumentar. Er erzählt in Dialogen und inneren Monologen. Das Geschehen wird dadurch aus einer Innenperspektive heraus und in einer gewissen Eindringlichkeit präsent. Die Erzählung gleicht mehr einem Psychogramm als einer Milieustudie. Es ist so, als würde der Erzähler sich in Djadi einfühlen und Ereignisse seines Lebens in Deutschland nutzen, um psychisch-physische Reaktionen darzustellen und Erklärungen anzudeuten.
Nur am Rande kommt es dabei zu einer Gesellschaftskritik, bspw. in den wiederkehrenden Szenen der Begutachtung durch das Jugendamt. Das sechs Erwachsene, die die 50 überschritten haben, in einer Wohngemeinschaft leben und einen Elfjährigen bei sich aufnehmen, will nicht in das behördliche Erwartungsmuster passen. Aber auch andere Menschen in der erzählten Umgebung zeigen Abneigung gegenüber dargestellten Integrationslösung.
So unkonventionell ist das neue Zuhause von Djadi allerdings auch wieder nicht. Es ist eine Wohngemeinschaft, keine Kommune mit freier Liebe und eigenen Regeln. Die sechs Erwachsenen verteilen sich auf drei Paare, die alle geregelten und für Kindererziehung überwiegend passenden Berufen nachgehen: ein Lehrerpaar, ein Sozialarbeiter, der mit einer Kindertherapeutin zusammen ist. Nur zwei Steuerberater fallen aus dem (sozial-)pädagogischen Muster.
Es wäre interessant zu erfahren, wie Menschen auf die Situation reagieren, für die soziale Integration keine Hauptaufgabe ist.
Beim Lesen habe ich mir auch gewünscht, mehr über das Innenleben der Elterngemeinschaft oder deren Verhältnis zueinander zu erfahren. Was bewegt sie in den Situationen dieser Integration, außer dem Mitgefühl? Wieso nehmen sie ein Kind auf, außer aus einem ethischen Pflichtgefühl heraus? Wie ist die Entscheidung biographisch begründet? Die letzte Frage stellt sich insbesondere, weil die Bewohner keine eigenen Kinder haben.
Lediglich bei dem Lehrer Wladi, der zur wichtigsten Bezugsperson von Djadi wird – auch weil er als Rentner am meisten Zeit hat – kommt zur Sprache, dass er selbst auf der Flucht am Ende des 2. Weltkriegs war. Da gibt es Parallelen und Ähnlichkeiten, die allerdings vage bleiben. Ein Deutungsmuster lässt sich auch hier nur schwer greifen, eher erfühlen. Das Buch erscheint mir vor allem aus dieser Perspektive heraus anregend, weil es Fragen produziert, die zum genauen Hinsehen und Nachdenken auffordern. Die persönliche Integration – von Mensch zu Mensch – ist keineswegs einfach – warum eigentlich nicht?
[Thomas Bitterlich]