Die Straße zwischen den Welten

Autor*in
Zimmermann, Christa-Maria
ISBN
978-3-401-02996-2
Übersetzer*in
Ori. Sprache
Illustrator*in
Seitenanzahl
299
Verlag
Arena
Gattung
Ort
Würzburg
Jahr
2007
Lesealter
12-13 Jahreab 18 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Bücherei
Preis
7,50 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Zwei Schiffsjungen sind die Hauptpersonen, die an der unglücklichen Expedition John Franklins auf der Suche nach der Nordwest-Passage in der Arktis beteiligt sind. Sie erleben das Abenteuer auf unterschiedliche Weise, weil sie aus extrem unterschiedlichen Situationen kommen. Die britische Perfektion des Jahres 1845 zerschellt an der harten Eiswelt, die Hoffnungen auf moderne Technik erfüllen sich nicht, letztlich kann nur der überleben, der sich der Natur anpasst.

Beurteilungstext

Der Leser begleitet den 14-jährigen Matthi mit seiner Schafherde in das London von 1845. Diese Gelegenheit dient dazu vor Augen zu führen, wie schmuddelig und stinkend das Großstadtleben für die Unterschicht war, unter welch unwürdigen Verhältnissen die Menschen damals leben mussten, Verhältnissen, die die Autorin hier drastisch und plastisch vor Augen führt. Als Kontrast beschreibt sie den aus bürgerlichen Verhältnissen stammenden Chris, den Matthi im unheimlichen Londoner Themsetunnel vor Wegelagerern rettet. Als Belohnung wird er von dessen Familie aufgenommen und beide fahren als Schiffsjungen mit John Franklins Schiffen auf die Nord-West-Passagen-Expedition.
Die anfängliche Euphorie - besonders Matthis genießt das reichhaltige Essen an Bord: dreimal täglich warmes Essen! Das hat er sein Leben lang noch nicht gehabt - weicht nur langsam der realistischen Sicht auf die wirklichen Bedingungen. Die beiden hochgerüsteten, reich proviantierten Schiffe stecken im Packeis fest und erst 1848, drei Jahre nach dem Londoner Aufbruch, verlassen über 100 Männer die Boote und versuchen, zu Fuß nach Kanada zu gelangen. Durch Krankheiten und Unachtsamkeiten dezimiert sich die Mannschaft, John Franklin stirbt, als ihm klar wird, dass er nie die Nord-West-Passage finden wird und auf dem mühsamen Fußmarsch, auf dem die Briten viel zu schwere Boote mitschleppen, offenbart sich der Generalfehler: Sie sind einfach nicht angemessen ausgerüstet, Wolle hilft gegen derartige Kälte nicht so gut wie Felle, Leder nicht gegen Nässe, Konserven nicht wie frisches Fleisch - und die britische Hochmut hindert zumindest die Offiziere daran, sich den Gegebenheiten anzupassen: Es gibt höhere Güter als das Leben! Gemeint sind die gesellschaftlichen Formen. Selbst als die Autorin eine Gruppe von Eskimos auftauchen lässt, deren Wohlgenährtheit und Gesundheit offensichtlich ist, lassen sich die Briten nicht beirren (Tatsächlich ist der Untergang der Expedition von Inuit beobachtet worden und befragt, antworteten sie Jahre später, dass sie selbst in diesem Jahr stark Hunger gelitten hätten). So endet die Expedition als große Katastrophe ohne Überlebende und ohne nachvollziehbare Spuren.
Christa-Maria Zimmermann aber lässt Matthi überleben: er wird von einem Inuit-Mädchen gefunden und zieht weiter mit ihrer Familie, ohne das Bedürfnis zu empfinden, in seine alte Welt zurück zu kehren. In einem kurzen Kapitel liest man, wie die absolute Anpassung der Inuit an ihre Umgebung das Überleben sichert und es wird vor Augen geführt, wie ungeeignet die damaligen zivilisatorischen Errungenschaften in dieser Welt sind. Der Schluss ist besonders nett gelungen: einer Andeutung ist zu entnehmen, dass auch Chris überlebt hat und bei den Inuit lebt. Aber Matthi hat sich so sehr mit der neuen Lebensweise befreundet, dass er sich sagt, wenn Chris noch lebt, wird er ihn auch sehen, irgendwann, irgendwo. Wenn der aber zurück gekehrt ist, will er ihm nicht folgen.
So endet der Roman positiv, wie es sich für einen Jugendroman gehört, auch wenn es kaum zu erwarten gewesen wäre. Und als Zutat begleiten die beiden Jungs auch noch fast bis zum Schluss zwei brave Hunde und bis zur Mitte ein kleiner Affe, um die die zwei sich unentwegt kümmern.

Christa-Maria Zimmermann nimmt sich die Freiheit, den wenigen Informationen, die zugänglich sind, nicht sklavisch zu folgen, beschreibt aber durchweg glaubhafte und konsequent sich entwickelnde Charaktere, die sogar die Ungeheuerlichkeiten des Kannibalismus nachvollziehbar machen - und gleichzeitig zu zeigen, warum auch der die Täter nicht retten konnte (In der Hoffnung, sich durch den Verzehr der Opfer zu retten, übersahen sie, dass die Opfer unter den gleichen Mängeln litten wie sie selbst, für sie also keine Chance bestand). Dass die meisten aber Opfer eines dilettierenden und kriminellen Konservenfabrikanten wurden und an Bleivergiftung starben, ist heute zwar weitgehend gesichert, bleibt aber hier nur zu ahnen, wird nicht als einzige Todesursache genannt.


Sehr gut recherchiert ist der Bericht in Kurt Lütgen: Das Rätsel Nordwestpassage, Arena 2133, 2000, nachzulesen. Jenseits der Jugendbücher schreibt Stan Nadolny in der “Entdeckung der Langsamkeit”, Piper-Taschenbuch 700, über John Franklin.

Für namentlich oder mit Namenskürzel gekennzeichnete Beiträge und Beurteilungen liegt die presserechtliche Verantwortung beim jeweiligen Autor bzw. bei der jeweiligen Autorin.

Diese Rezension wurde verfasst von cjh.
Veröffentlicht am 01.01.2010

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