Die Stimmen der Übrig gebliebenen

Autor*in
Discher, Christian
ISBN
978-3-9814257-2-7
Übersetzer*in
Ori. Sprache
Illustrator*in
Seitenanzahl
255
Verlag
Unterdog
Gattung
BiografieTaschenbuch
Ort
Hamburg
Jahr
2015
Lesealter
16-17 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Fachliteratur
Preis
14,90 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Teaser

Aus einer Jugendkrise heraus, wird C. in die Psychiatrie Uckermünde eingewiesen. Dort erleidet er und andere Mitinsassen Willkür, Erniedrigung und medikamentöse Zwangsbehandlung. Als er entlassen wird, scheint sein Weg vorgezeichnet- am Rand der Gesellschaft.

Beurteilungstext

Was Macht an der falschen Stelle und mangelnde Kontrolle ausrichten können und was nicht, erfährt man hier in diesem Buch über psychiatrische Einrichtungen in Neubrandenburg und ist entsetzt!
C.D. hat all denen eine Stimme gegeben, die es nicht geschafft haben, wieder zu sich selbst zu finden, nachdem sie sich in psychiatrische Behandlung begeben mussten.
Einmal psychisch krank- immer psychisch krank? Ist das so? Nein, so ist das nicht. Das beweist der Autor beeindruckend mit seinem Buch und seinem Lebensweg. Und das tut er trotz offensichtlicher Willkür und Diffamierung über mehrere Jahre psychiatrischer Behandlung.
Nach einer lebensbedrohlichen Erkrankung und dem zunehmenden Konflikt, der aus der Erkenntnis erwuchs, dass er schwul ist, erlitt C. einen Nervenzusammenbruch, in dessen Folge er in eine psychiatrische Klinik eingewiesen wurde. ,
Detailliert berichtet er von seinem eigenen Leidensweg und dem Anderer, die mit ihm in der Klinik und/ oder in der Nachbehandlung waren. Er beschreibt Willkür, völlige Entmündigung des Patienten, Zwangsmedikation, unprofessionelles Arbeiten in der psychiatrischen Einrichtung und Rahmenbedingungen wie altersschwache, unsanierte, enge, dunkle und deprimierende Gebäude. Die zeigen, welchen Stellenwert psychisch Kranke in der Gesellschaft haben.
Als C. in die Intensivabteilung eingewiesen wird, werden weder seine Eltern noch er über das weitere Vorgehen aufgeklärt. Auf Fragen erhält er notdürftig Auskunft. Er kann die Behandlung und besonders die massive Medikamentengabe in keinster Weise nachvollziehen. Das was er wirklich bräuchte, Einzelgespräche, jemanden, der mit ihm bespricht, was bei ihm los ist, erfolgt nicht. Schnell ist C. so stark medikamentös eingestellt, dass er kaum sprechen kann, sich zu den Behandlungen nicht äußern kann. Er war in einem Körper gefangen, der ihm nicht gehorchen wollte. Nebenwirkungen der Medikamente setzten ein, ohne dass er darauf vorbereitet wurde oder dabei begleitet wurde. Besuche durfte er nicht empfangen. Seine Familie verließ sich auf die Einrichtung, wusste es nicht besser. So wie ihm erging es den meisten anderen Patienten. Viele hatten bereits aufgegeben. Die versuchten, aus der Klinik fort zu kommen, ob nun durch ihren Vormund oder durch Flucht, wurden schnell in ihre Grenzen gewiesen. Dies heißt, nur die Klinik wusste, was gut für die Patienten war- ohne wirklich mit ihnen zu reden.
Nach Beendigung des Klinikaufenthaltes ist er verpflichtet, sich ambulant weiter behandeln zu lassen. Dabei hat er keine freie Arztwahl und erkennt schnell, dass das Therapeutenpaar nicht therapeutisch arbeitet, sondern medikamentiert und die Patienten nach vorgefertigten Schemata behandeln.
Überall wird ihm deutlich gemacht, dass ein normales Leben, ein Abitur machen und studieren völlig ausgeschlossen sei. Er könne maximal einen Hauptschulabschluss schaffen. Zum Glück hat er seine Freundin M. die ihn stets bestärkt, sein Leben wieder selbst in die Hand zu nehmen und überzeugt ist, dass er alles schaffen kann.
Wenigstens ein Mensch glaubt an ihn. Allmählich und erst nach vielen Monaten glaubt auch er wieder an sich und kann mit größter Anstrengung und der Unterstützung einer Lehrerin sein Abitur nachholen. Dies ist der Neuanfang, den ihm kein professioneller Helfer zugetraut hat und wofür er auch keine Unterstützung erhielt. Und er hat es doch geschafft.
Dieses Buch erschüttert und ermutigt. Es verlangt Verbreitung, damit Angehörige und Kontrollorgane aufmerksamer sind. Dieses Buch verlangt auch die Prüfung der gesetzlichen Rahmenbedingungen. Psychisch kranke brauchen eine Lobby! Wieso dürfen Kranke dermaßen entmündigt werden und andererseits werden die Angehörigen völlig außen vor gelassen, die als System häufig unterstützen könnten. Vielen Dank an C. Discher für seinen mutigen Bericht.

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Diese Rezension wurde verfasst von KOST; Landesstelle: Sachsen.
Veröffentlicht am 01.10.2017