Die Regeln des Sommers

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• Freundschaft

Teaser

Der Sommer ist lang - was bleibt davon an Erfahrung und Erkenntnis. Darüber berichtet Shaun Tan in seinem neuen Bilderbuch in Worten und Bildern auf - bekanntermaßen - höchst eigentümliche Art und Weise.

Beurteilungstext

Der Text dieses Bilderbuches klingt ernüchternd, nach wenig Spannung. Auf jeder Doppelseite ein Satz: ""Also das habe ich letzten Sommer gelernt: Nie eine rote Socke auf der Wäscheleine hängen lassen. Nie auf einer Party die letzte Olive essen. Nie dein Glas fallen lassen. Nie die Hintertür offen lassen. ..."" Was nach einem recht tristen Verbotskatalog klingt, findet aber in den Bildern ein Pendant, das die Perspektive radikal verändert. Denn wo zu lesen ist, man solle nie auf eine Schnecke treten, finden sich zwei Jungen - ein kleinerer und ein größerer - die inmitten einer Vorstadtszenerie mitten auf der Straße stehen, auf der zwar tatsächlich eine Schnecke angedeutet wird, an deren Ende aber ein gewaltiger Tornado mit ungeheurer Zerstörungskraft sein Unwesen treibt. Hier verschieben sich die Prioritäten des Textes hin zum Bild und die Textaussage erscheint angesichts der existenziellen Bedrohung marginal. Nach diesem Muster reiht sich Doppelseite an Doppelseite, je ein Satz und ein Bild, die anfangs nichts miteinander zu tun zu haben scheinen. Nur die beiden Jungen sind die wiederkehrende und Verbindung stiftende Größe; es handelt sich offensichtlich um ihren Sommer mit seinen Erlebnissen. Erst zur Mitte des Buches hin beginnen die surrealistischen Situationen, die voll sind von fremden Wesen und unglaublichen Ereignissen, auch zwischen den Jungen einen Konflikt zu zeigen. Der Kleine bleibt vom gemeinsamen Fernsehen ausgeschlossen, dann auch von einer wunderbaren Spielwelt, schließlich gibt es eine Prügelei und der Kleine wird mit einem eigenwilligen Fahrzeug und offensichtlich gegen seine Willen in die Fremde verschickt. Doch nun ändert sich die Szene. Nach einigen textlosen Bildern der Reise taucht der größere Junge auf einem Fahrrad auf, befreit den Kleinen aus dem bedrohlichen Gefährt und fährt nach Haus. Bei den Sätzen taucht nun erstmals ein ""immer"" als Alternative zum anaphorischen Satzanfang ""nie"" auf. Insofern scheint in diesem seltsamen, skurrilen und surrealistischen Bilderbuch eine verdeckte Narration auf, die erst auf den zweiten Blick und im Vollzug der Lektüre aufzufinden ist. In ihrer Symbolik sind die realen Erlebnisse eines Sommers und seiner Spielfantasien, seiner Höhen und Tiefen deutlich erkennbar. Am Ende sitzen beide auf dem Sofa und schauen Fern - ein Hinweis auf die Fiktionalität sind die vielen Bilder an der Wand, die von den Erlebnissen erzählen, sie aber auch als malerisch gestaltete Kindervorstellungen entlarven.
Wie immer macht es Shaun Tan auch mit diesem Bilderbuch seinen Lesern nicht leicht. Seine großflächigen, vielschichtigen und eindrücklichen pastos gestalteten Pinselzeichnungen dominieren gedeckte Farben, die eine geheimnisvolle, leicht düstere Stimmung etablieren. Die realistisch-naturalistischen Darstellungen kontrapunktieren viele fantastische Wesen; Habichte in Anzügen, ein riesiges, rotäugiges Kaninchen-Monster, ... Zwischen Bild und Text bleibt viel Raum zum Deuten, Philosophieren, Entdecken und Genießen. Wieder einmal ein außergewöhnliche Bilderbuch des Ausnahmekünstlers - ausdrücklich zu empfehlen.