Die Geschwister Apraksin - Das Abenteuer einer unfreiwilligen Reise
- Autor*in
- Schneider, Karla
- ISBN
- 978-3-446-20703-5
- Übersetzer*in
- –
- Ori. Sprache
- –
- Illustrator*in
- –
- Seitenanzahl
- 596
- Verlag
- Hanser
- Gattung
- –
- Ort
- München
- Jahr
- 2006
- Lesealter
- 12-13 Jahre14-15 Jahre16-17 Jahreab 18 Jahre
- Einsatzmöglichkeiten
- Bücherei
- Preis
- 19,90 €
- Bewertung
Schlagwörter
Teaser
1917 toben in Russland die Wirren der Revolution und des Bürgerkrieges. 5 Großbürgerkinder fliehen vor der Enteignung und dem Waisenhaus auf abenteuerlichen Wegen über Wolga und Don bis auf die Krim und später weiter nach Moskau. Immer wieder geraten sie in höchste Gefahr, aber immer wieder helfen ihnen ihr Mut, ihre Kreativität und ihr Zusammenhalt sowie wohlmeinende Menschen, neue Anfänge zu wagen und weiterzukommen. Doch sie müssen auch Verluste und Enttäuschungen hinnehmen.
Beurteilungstext
40 Jahre Kalter Krieg haben in der westlichen Karte der Literatur einen großen weißen Fleck an der Stelle Russlands hinterlassen. Anders als in der Musik zeigte sich der Eiserne Vorhang hier recht undurchdringlich. Und was der Westen über innerrussische Bedingungen erfuhr, war oftmals mehr Propaganda als Faktenbeschreibung. Insofern ist Karla Schneider allein schon für die thematische Wahl zu danken.
Es geht also um die russische Revolution, um Bolschewiken und Bürgertum, um den Krieg roter und weißer Truppen um die Macht am Ende des Ersten Weltkriegs, um Not und Verzweiflung der Verlierer und Willkür und Rache der Gewinner. Es geht um menschliche Grenzerfahrungen, um Familiensinn und Geschwisterliebe, um die Aufrechterhaltung menschlicher Werte in Zeiten von Hunger, Kälte und Todesgefahr.
Das Panorama menschlicher Schicksale, das sich in diesem Buch eröffnet, entspricht weithin der geläufigen Vorstellung von Russland: unendlich erscheinende Weite, Kargheit und Luxus eng nebeneinander, ständiges Pendeln zwischen melancholischer Depression und wilder Euphorie. Mal strömt die Geschichte wie ein breiter Fluss beinahe unbewegt dahin, mal nimmt sie den Leser mit auf eine Achterbahn von Gefühlen, wo überschäumende Freude schlagartig in tiefste Verzweiflung umschlägt.
Diese stilistische Eigenart hinterlässt beim Leser einen intensiv “russischen” Eindruck, illustriert gleichsam bildhaft die Schilderungen von Landschaft und Menschen. Hinzu kommt eine “historisch” wirkende Sprache, durchsetzt mit landestypischen Ausdrücken und zeitbezogenen Begriffen, die den inneren Bildern zusätzliche Tiefe verleiht. Das macht die Lektüre sperrig, manchmal anstrengend und mühsam (auch wenn ein Glossar am Buchende Begriffe und Personen erklärt) und verlangt vom Leser Durchhaltevermögen und wenigstens minimale historische Kenntnisse. Doch wer sich darauf einlässt, wird reich belohnt durch die ungewohnte Tiefe des Miterlebens und das “Breitwandformat” der vermittelten Vorstellungen. Nie geraten Personen nur scherenschnittartig, meist entwickeln sie unvorhergesehene neue Profile und bieten letzten Endes ein fassettenreiches Panorama menschlichen Verhaltens. Das ist klug aufgebaut und plastisch verdeutlicht, braucht aber langen Atem.
Nichts also für Gelegenheitsleser, ein Genuss aber für literarische Gourmets, denen in der Person der Polly (Ippolita) Apraksin ein nachahmenswertes Denkmal gesetzt wird. Und war eingangs die Rede von weißen Flecken bei russischer Literatur, so arbeitet Schneider in vielen Zitaten und Erwähnungen an der Aufklärung dieser Unwissenheit tatkräftig und appetitanregend mit.