Die Fundsache

Autor*in
Tan, Shaun
ISBN
978-3-8489-0039-8
Übersetzer*in
Schönfeld, Eike
Ori. Sprache
Englisch
Illustrator*in
Tan, Shaun
Seitenanzahl
32
Verlag
Aladin
Gattung
BilderbuchBuch (gebunden)Sachliteratur
Ort
Stuttgart
Jahr
2013
Lesealter
12-13 Jahre14-15 Jahre16-17 Jahreab 18 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Preis
16,90 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Teaser

Shaun Tans „Die Fundsache“ stellt „[k]eine erkennbare Bedrohung für die Ordnung der Alltagsexistenz [dar]. Irrelevant“ ist dieses Bilderbuch, „[f]ür öffentlichen Gebrauch sicher“. Dieser satirische Peritext verrät, worum es in Shaun Tans 2013 erstmals auf Deutsch erschienenem Bilderbuch-Comic-Hybrid geht: Um Dinge, die die Alltagsordnung stören, die nicht hineinpassen in ein normiertes, in Alltagsroutinen, Schubladendenken und behördlichen Vorgängen erstarrtes Leben.

Beurteilungstext

Shaun Tans „Die Fundsache“ stellt „[k]eine erkennbare Bedrohung für die Ordnung der Alltagsexistenz [dar]. Irrelevant“ ist dieses Bilderbuch, „[f]ür öffentlichen Gebrauch sicher“. So steht es auf der Rückseite des Bands, der offenbar unter Bilderbuch-Aktenzeichen K7645683/67b „genehmigt“ wurde.
Dieser satirische Peritext verrät, worum es in Shaun Tans 2013 erstmals auf Deutsch (und 2009 im englischen Original) erschienenem Bilderbuch-Comic-Hybrid geht: Um Dinge, die die Alltagsordnung stören, die nicht hineinpassen in ein normiertes, in Alltagsroutinen, Schubladendenken und behördlichen Vorgängen erstarrtes Leben. Der autodiegetisch erzählende Protagonist, seines Zeichens ein passionierter Kronkorkensammler (dessen Sammlung im Vorsatz und Nachsatz abgedruckt ist, erzählt seinen direkt angesprochenen Lesenden davon, wie er einst „das Ding gefunden“ habe. Dieses steht am Strand der Stadt (vor einer furchterregenden, schmutzig-rostigen Stadtmauer, die den Hochhausmoloch offenbar vor feuchten Überraschungen schützen soll) herum: „Viel machte es nicht. Es stand bloß da. Wie fehl am Platz. […] Aber es war ganz freundlich, als ich mit ihm redete.“ Das Ding sieht aus wie ein überdimensionierter roter Teekessel, aus dem Tentakel ragen.
Der Protagonist stellt schnell fest, dass das „Ding“ ganz allein ist (und entsprechend traurig wirkt) und nimmt es nach erfolgloser Ratsuche bei Experten und Freunden mit nach Hause, wo er es allerdings vor den wenig erfreuten Eltern verstecken muss (die aber ohnehin „zu sehr mit aktuellem Kram beschäftigt“ sind, um sich wirklich Gedanken über das seltsame raumfüllende Mitbringsel zu machen). Das ist aber keine Lösung auf Dauer, und so bringt er das Ding zum „Bundesamt für Krimskrams“, das angeblich für alles eine Schublade hat. Bevor er dort aber damit beginnen kann, für die Anmeldung einen körperhohen Stapel Formulare auszufüllen, rät ihm eine hilfreiche Seele, das Ding doch lieber an einen anderen Ort zu bringen, denn im Bundesamt werde „vergessen, zurückgelassen, glattgebügelt.“ Einer Visitenkarte folgend, finden der Erzähler und das Ding schließlich diesen anderen Ort, der voll ist mit anderen Dingen, die auch nirgendwo richtig hinzugehören scheinen. Da es dem Ding dort zu gefallen scheint, lässt der Erzähler es dort, kehrt zu seiner Kronkorkensammlung zurück und denkt nur noch von Zeit zu Zeit an die ungewöhnliche, kurze Freundschaft… meistens dann, wenn ihm „aus dem Augenwinkel etwas [auffällt], das nicht ganz passt.“ Aber, nun, „solche Dinge fallen mir in letzter Zeit seltener auf. […] Bin wohl zu viel mit anderen Sachen beschäftigt.“
Die Inhaltsbeschreibung lässt es vielleicht ahnen: Tan legt mit „Die Fundsache“ eine Parabel über ein modernes Leben vor, das von Konformitätsdruck und erstarrten Routinen geprägt ist und in dem alles, was nicht in die vorgefertigten Lebensschablonen zu passen scheint, entweder ignoriert oder als Bedrohung empfunden wird. Dabei scheint in der urbanen Welt, die Tan hier gewohnt futuristisch und doch „abgewohnt“ zeichnet, eigentlich nichts wirklich zu passen: Die Straßen sind grau und schmutzig, überall stehen verrostende Rohre und qualmende Schornsteine herum, kein Pflänzchen verschönert die zubetonierte Landschaft unter schmutzig-grauem Himmel, die Menschen wirken seltsam gesichtslos oder maskenhaft. Der einzige Farbtupfer in dieser erstarrten Welt ist das „Ding“ und sind die – einmal auf einer Hochkanten Doppelseite dargestellten – anderen Fundsachen, zu denen es sich schließlich gesellt.
In Tans Zeichnungen paaren sich Dali’scher Surrealismus mit der metaphysischen Malerei eines Giorgio de Chirico, und das Sujet von „Die Fundsache“ passt nahezu perfekt zu diesem Zeichenstil.
Für die ganz Kleinen sind Tans Werke eher nichts, wenngleich sich die Zeichnungen wie Wimmelbilder aus einer abstrakt-durchgeknallten Welt lesen lassen. Aber alle, die auch nur einen Hauch Zweifel an unserer im Schubladendenken gefangenen Welt verspüren, werden die Augen kaum von „Die Fundsache“ losreißen können.

Für namentlich oder mit Namenskürzel gekennzeichnete Beiträge und Beurteilungen liegt die presserechtliche Verantwortung beim jeweiligen Autor bzw. bei der jeweiligen Autorin.

Diese Rezension wurde verfasst von Philipp Schmerheim; Landesstelle: Hamburg.
Veröffentlicht am 01.10.2021

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