Der vergessene Garten

Autor*in
Bravo, Emile
ISBN
978-3-95640-005-6
Übersetzer*in
Pröfrock, Ulrich
Ori. Sprache
Französisch
Illustrator*in
Bravo, Emile
Seitenanzahl
88
Verlag
Reprodukt
Gattung
Comic
Ort
Berlin
Jahr
2014
Lesealter
14-15 Jahre16-17 Jahreab 18 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Klassenlektüre
Preis
24,00 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Die Kurzgeschichtensammlung „Der vergessene Garten“ zeigt den v.a. durch seine Kindercomics bekannten Franzosen Émile Bravo als explizit politischen Autor. Allerdings weniger in Form der littérature engagée – als vielmehr als differenzierten Beobachter des Politischen. So thematisiert er im vorliegenden Band die Problemfelder Rassismus, Globalisierung, Nahostkonflikt und Ungleichheit überraschend pointiert und scharfsichtig – jenseits der platten Satire vieler Karikaturisten von Tageszeitungen.

Beurteilungstext

Der Sammelband enthält mehr als 20 Arbeiten aus den letzten 15 Jahren, die ein sehr breites Spektrum verschiedenster Themen und Stile abdecken. In traditionell franko-belgischen ligne-claire-Zeichnungen – mal bunt getuscht, bald in schlichtem schwarz-weiß gehalten – versetzt Émile Bravo die klassischen Comic-Identifikations-Figuren in ein überraschend neues Umfeld: Weg von der kolportagehaften Aventure in exotischen Ländern hinein in die undurchdringlichen Machtstrukturen unserer „realen“ Welt direkt vor Ort.

Die Mehrzahl der Beiträge lässt sich unter der literarischen Prämisse der klassischen Parodie lesen: So reproduziert Émile Bravo den Zeichenstil und die Erzähllogik der franko-belgischer Comicserien wie „Spirou“, „Gaston“ oder „Tim & Struppi“ - thematisiert aber völlig fremde Problemfelder wie (unbewusster) Alltagsrassismus, spiegelt die Wirkungsweise von Indoktrination und politischer Propaganda, illustriert den Zusammenhang von Machtgewinn und Idealverlust, oder veranschaulicht das unauflösliche Dilemma im Nahostkonflikt als Spirale unaufhörlicher Vergeltungsschläge. Dabei verzichtet Émile Bravo klug auf den erhobenen Zeigefinger und enthält sich jeder Tendenz. Der Autor verschwindet regelrecht hinter seinen Figuren, lässt den Leser mit den Motiven und Handlungen der Figuren allein und setzt stattdessen auf verspielt-pointierte Überzeichnung.

Vom deutschen Verleger Reprodukt wird diese Kompilation als „Comic für ein explizit erwachsenes Publikum“ angepriesen. Der Autor (und der Rezensent) hingegen hält nichts von derlei Kategorien: Das Medium des Comics kann aufgrund seines universellen Bild-Codes von allen Alters- und Bildungsschichten rezipiert werden - wenn auch auf unterschiedlichen Ebenen.

Zur Stützung dieser These ist neben der bereits erwähnten klassischen Erzähllogik – hohe Rhythmisierung, rasche Handlungsfolge, wenig Reflexion und Perspektivwechsel, und der kindliche Stil der ligne claire – v.a. sein effizienter Einsatz von Piktogrammen hervorzuheben. So füllen oft mehr oder weniger universal verständliche Symbole und Icons die Speechbubbles anstelle von sprachlichen Zeichen, wie beispielsweise in den Erzählungen „Frustration Land“ oder „Eine Frage des Menschenmaterials“. Zum einen symbolisieren sie das repetitive und plakative Moment politischer Freund-Feind-Schemata, die im gesellschaftlichen Diskurs inflationär eingesetzt und dadurch sinnentleert werden. Zum anderen zeigen sie, wie universell verständlich die Bildsprache zu sein scheint, die auf diesen zu Phrasen und Symbolen erstarrten Metaphern basiert. Zum dritten lassen sie dem Leser noch mehr Freiraum für die Interpretation der Geschichten – nicht nur im Freiraum zwischen den Panels, sondern auch in den einzelnen Sprechblasen: Die Piktogramme umreißen lediglich das Thema der Dialoge - das tatsächlich Gesagte muss der Leser selbst (re-)konstruieren.

Politisch hellsichtig und randvoll mit schwarzem Humor sind Bravos Kurzcomics ein Fest für all jene, die nach dem Feldzug der sogenannten „Graphic Novel“ durch die bürgerlichen Feuilletons, den Glauben an die ursprünglich subversive Kraft des Comics noch nicht verloren haben. Denn hier ist die von Comickennern so oft postulierte „strukturelle Parodie“ des Comics in nuce vorgeführt. Danke Émile!

Für namentlich oder mit Namenskürzel gekennzeichnete Beiträge und Beurteilungen liegt die presserechtliche Verantwortung beim jeweiligen Autor bzw. bei der jeweiligen Autorin.

Diese Rezension wurde verfasst von OWA.
Veröffentlicht am 01.01.2010

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