Der Sohn des Ursars

Autor*in
Petit, Xavier-Laurent
ISBN
978-3-95728-538-6
Übersetzer*in
Schneider, Desirée
Ori. Sprache
Französisch
Illustrator*in
Seitenanzahl
222
Verlag
Knesebeck
Gattung
Erzählung/Roman
Ort
München
Jahr
2022
Lesealter
14-15 Jahre16-17 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Bücherei
Preis
15,00 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Das alte Auto einer Bärenführerfamilie krepiert am Rande eines Waldes. Zwei Schleuser bringen sie nach Paris, wo die Familie im Slum landet und daran scheitert, ihre Schulden abarbeiten zu wollen. Ciprian lernt Schachspieler kennen, die sein Talent fördern wollen. Als einer der Geldeintreiber ermordet wird, wird das Lager geräumt, der ältere Bruder verhaftet, Ciprian zusammengeschlagen. Für ihn und seine Schwester gibt es eine Alternative, aber die Familie zerfällt.

Beurteilungstext

Der französische Autor (geb. 1956) widmet das Buch einer Roma-Familie, die er im Winter 2014 getroffen hat. Er läßt von dem jüngsten, 11-jährigen Sohn Ciprian in Ich-Form erzählen, was eine Schwierigkeit mit sich bringt für die LeserInnen: Was ist Fiktion, was Realität in dieser Geschichte, die so weit entfernt ist von der Erfahrungswelt junger LeserInnen in Deutschland. Nicht nur der Beginn in Rumänien, die Arbeit des Vaters als Bärenführer, der Schaukämpfe mit seinem Bären vorführt, um das kärgliche Überleben seiner sechsköpfigen Familie zu ermöglichen. Hass und Verfolgung durch Ortsansässige. Auch die Welt der Obdachlosen im Slum bei Paris, die Erpressung und Bedrohung durch die Geldeintreiber, die Hoffnungslosigkeit ihrer Lage, die auch die Kinder zum Betteln und Klauen zwingt. Eine Chance gibt es nur, als Ciprian per Zufall zwei ältere Schachspieler beobachtet und so fasziniert von ihrem Spiel ist, dass er darüber tagelang seine “Arbeit” vergisst, die beiden kennenlernt und von ihnen als Schachtalent entdeckt und gefördert wird. Dieser geradezu märchenhaften Wendung steht das ständige Grauen im Lager, die Drohungen durch die Kriminellen wie die Razzien durch die Polizei gegenüber, die nur durch den Zusammenhalt der Familie erträglich sind. Erst nach dramatischer Zuspitzung, dem Mord an einem der Erpresser, einem Brand im Lager und Ciprians Krankenhausaufenthalt finden seine Förderer einen Weg, um die zerfallende Familie vor der drohenden Abschiebung zurück nach Rumänien zu bewahren. Der Preis ist hoch: der Vater im Gefängnis, die Mutter in der Psychiatrie, der älteste Sohn abgeschoben, das Schachtalent Ciprian und seine Schwester Vera im Heim.
Die Dramatik der Geschichte wird besonders im zweiten Teil durch den oft witzigen Umgang mit Sprache gemildert. So missversteht Ciprian den Namen „Emperor“ des alten Polizeipräfekten als Kaiser Sigismund, der der Roma-Überlieferung nach ihnen vor Jahrhunderten einen Schutzbrief ausgestellt haben soll. Ciprian kann nur wenige Brocken Französisch, lernt aber eifrig und schnell. Seine Faszination für das Schachspiel erweitert er um das dicke Wörterbuch, das er auswendig lernen will. Auch die Figur seiner Schwester Vera gewinnt schnell Sympathie in ihrer Widersprüchlichkeit und geschwisterlichen Rivalität. Die ersten Schulerfahrungen der Kinder in einer Sprachlernklasse mit Kindern verschiedener Nationalität und Sprache werden sehr anregend geschildert wie auch Ciprians scharfer Blick auf seine Schachgegner. Die dialogreiche, leicht verständliche Sprache erlaubt jugendlichen LeserInnen ein Weglesen als Abenteuerroman. Die Ich-Perspektive macht den Umgang mit der fremden Kultur zumindest erwachsenen LeserInnen fragwürdig. Doch das Schicksal dieser Roma-Familie zeigt nachdrücklich die Ausweglosigkeit ihrer Situation selbst in einem westlichen Land. Der Autor ist erfolgreicher Jugendbuchschriftsteller seit den 90er Jahren mit mehreren Preisen (s. Wikipedia). Für das 2016 erschienene französische Original erhielt er 2017 den Prix Sorcières.

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Diese Rezension wurde verfasst von uwo; Landesstelle: Berlin.
Veröffentlicht am 19.06.2022

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