Der Ruf des Reihers

Autor*in
Hearn, Lian
ISBN
978-3-551-58160-0
Übersetzer*in
Ahrens, Henning
Ori. Sprache
Englisch
Illustrator*in
Seitenanzahl
798
Verlag
Carlsen
Gattung
Ort
Hamburg
Jahr
2007
Lesealter
16-17 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Preis
24,00 €
Bewertung
eingeschränkt empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Die Handlung des vierten Bandes spielt 16 Jahre nach dem Abschluss des 3. Bandes. Takeo und Kaede haben mittlerweile drei Töchter und herrschen gemeinsam über die drei Länder, die jedoch sowohl durch Verräter von innen, als auch durch Fremde von außerhalb bedroht werden.

Beurteilungstext

Der Clan der Otori war anfangs als Trilogie angelegt. Die ersten drei Bände spielen in einem erfundenen, asiatischen Land in der Zeit des Feudalismus. Die Handlung erschreckt sich über einen Zeitraum von drei Jahren und wird größtenteils oder sogar komplett von der Hauptperson Takeo erzählt, der zu Beginn der Handlung ein Junge von 15 Jahren ist. Man erfährt, wie er sich in die Tochter eines Lords, Kaede, verliebt und es auf vielen schweren Wegen schließlich schafft, den drei Ländern Frieden zu bringen. Ein Epilog in Band drei deutet eine mögliche Fortsetzung an, zumal prophezeit wurde, dass Takeo durch seinen eigenen Sohn sterben wird, endet jedoch mit den Worten: “ Doch mein Tod ist eine andere Geschichte der Otori - und eine, die ich nicht selbst erzählen kann.” Für mich als begeisterten Leser der ersten drei Bände war dies ein sehr zufriedenstellendes Ende, da man sich so seinen Teil denken konnte.
Nun erschien zwei Jahre nach Band drei ein vierter, der nicht in das ursprüngliche Konzept passen wollte. Als Fan der Reihe war ich sehr gespannt darauf, doch Der Ruf des Reihers konnte meine Erwartungen nicht erfüllen. Die Handlung beginnt 16 Jahre nach dem Ende von Band drei: Takeo und Kaede - beide Anfang bis Mitte 30 mittlerweile - herrschen zusammen über die drei Länder und haben eine 15-jährige Tochter und zwei Zwillingsmädchen im Alter von 13. Da nun auf gleich fünf Hauptpersonen aus der Otorifamilie geachtet werden muss, kann die Handlung nicht mehr aus Takeos Sicht geschrieben werden und verliert allein dadurch für mich schon einiges an Wirkung, da gerade die Ich-Perspektive besonders gut geschrieben war und ganz andere Eindrücke vermittelte als eine Sicht aus der dritten Person.
Des Weiteren verliert die Geschichte dadurch, dass sie in einer langen Zeit des Friedens angesiedelt ist, viel von ihrer Wirkung, da die Erzählung in einer eigentlich kriegerischen Epoche spielt und die meisten Personen Krieger sind. Bände eins bis drei waren ungemein spannend, da stets Intrigen geschmiedet, Attentate verübt und Kriege geführt wurden. Im Gegensatz dazu langweilt man sich als Leser beinahe, wenn man in Band vier nun schier endlose Abhandlungen über Handelsreisen und Besprechungen über Landwirtschaft und neue Bündnisse liest.
Takeo hat sich vom kriegerischen Jugendlichen, der früher vielen Menschen den Tod gebracht hat, zum erwachsenen Herrscher entwickelt, der nun auf Frieden, Diplomatie und Ruhe aus ist. Eigentlich sollte man meinen, dass diese Entwicklung interessant zu verfolgen ist, doch für mich war es eher gegenteilig: Der Takeo aus Band vier scheint mit dem der ersten Bände kaum noch etwas gemein zu haben und gerade er war die Person, mit der man stets mitgefiebert hat. Jetzt zählt er zwar noch immer zu den Hauptpersonen, doch ich hatte den Eindruck, als weiche er zusehend hinter seinen Töchtern zurück. Er ist alt geworden, sogar zerbrechlich und geschwächt und zerstört damit das heldenhafte Bild, das aufgebaut wurde, als man seinen Weg vom einfachen Dorfjungen zum Oberhaupt eines Clans beobachten konnte.
Auch die Töchter sind eine Sache für sich und für mich sehr gewöhnungsbedürftig gewesen. Shigeko, die Älteste, ist für 15 Jahre unglaublich vernünftig, diplomatisch und selbstbeherrscht. Sie wurde im Kloster erzogen und ihre dauerhafte Ruhe, Ausgeglichenheit und Freundlichkeit kann schnell langweilig wirken.
Den Gegenpart zu Shigeko bilden die Zwillinge Miki und Maya. Shigeko wird von allen geliebt und bewundert, während die Zwillinge selbst als Töchter des obersten Herrschers verachtet und gemieden werden. Sie sind ungestüm, schwer zu erziehen und haben die gleichen übernatürlichen Kräfte des Stammes geerbt, wie ihr Vater Takeo.
Der Stamm - ein Zusammenschluss von Familie mit übernatürlichen Kräften wie enormes Gehör, Unsichtbarkeit und Lautlosigkeit - spielt zwar auch in diesem Band noch eine große Rolle, da eine der Familie, die Kikuta, Takeos Tod wünschen und immer wieder versuchen, ihn zu töten. Bei ihnen lebt auch Takeos unehelicher Sohn Hisao, der dazu ausgebildet wird, seinen unbekannten Vater zu töten, der dem Stamm den Rücken zuwandte.
Bisher war es Takeo, dessen herausragende Fähigkeiten den Leser faszinierten und der gesamten Geschichte einen fantastischen Touch gaben. Doch nun sind da seine Töchter Miki und Maya, die nicht nur seine Fähigkeiten geerbt haben, sondern noch andere Talente als Licht legen, die nun allerdings immer ausgefallener und unglaubwürdiger werden: so saugt Maya den Geist einer Katze in sich auf und kann sich von da an in eine riesige Katze verwandeln, die die Stimmen der Geister hört und durch Wände gehen kann. Auch Hisao, Takeos Sohn, hat eine außergewöhnliche Fähigkeit, da er mit den Toten sprechen und sie lenken kann. Beides wirkt für mich ein wenig übertrieben. Als es nur Takeo war, der diese Fähigkeiten besaß, waren sie etwas Besonderes, doch da nun immer mehr Personen diese Gabe haben und davon ständig Gebrauch machen, verliert sie deutlich an Wirkung und Faszination.
Ein anderes Thema, da sich immer wieder findet, ist Liebe, verbunden mit Leidenschaft, Begierde und Intrigen. Während es in den ersten Bänden fast immer um Takeo und Kaede und ihre - anfangs geheime - Liebe geht, die viele Hindernisse überwinden muss, bevor die beiden schließlich offiziell ein Paar sein dürfen, scheint im vierten Band beinahe jede Person plötzlich das Bedürfnis zu haben, sich zu verlieben oder sich körperlicher Leidenschaft hinzugeben: Nicht nur Takeo und Kaede, die nach dreizehn Jahren sogar noch ein viertes Kind bekommen, sondern auch die 15-jährige Shigeko, die plötzlich unsterblich in ihren Jugendfreund und heutigen Berater verliebt ist, ihn allerdings nicht heiraten darf, da es unter ihrem Preis wäre. Dann Maya, die nicht nur ihre Aufseherin Sada liebt und ihr auch körperlich nah sein möchte, sondern auch Taku, Sadas heimlichen Geliebten, der Takeos treuster Spion ist.
Immer wieder wird auch ganz selbstversändlich von der intensiven Liebe zwischen jungen Männern, alten Männern und kleinen Jungen, sowie von zahlreichen anderen Liebschaften von verheirateten Personen berichtet, was nun jedoch gut die Zeit und die Sitten widerspiegelt, auf die die Autorin wert legt.
Ein weiterer Punkt, der den Leser ein wenig ermüden kann, sind zahlreiche, sehr genaue Beschreibungen von Gebäuden und Landschaften. Natürlich sind diese dafür gedacht, dem Leser einen besseren Einblick in Zeit und Kultur zu verschaffen und vermutlich werden es auch viele Leser interessant finden, doch mich haben sie bald gelangweilt, da sie oftmals wirken, als solle bloß Zeit gewonnen werden, bevor etwas Spannendes geschieht.
Genau diese Spannung wurde in der ersten Hälfte des Buches von mir vermisst. Natürlich gibt es zahlreiche parallele Handlungen, wie Intrigen, Verrat und Fremde, die das Land betreten, doch all das ist nur mäßig spannend geschrieben. Für mich kam der erste wirklich fesselnde Moment, der mich stark an die Spannung und die Action der ersten Bände erinnert hat, erst kurz vor Seite 500, während alles Vorangehende nicht spannend genug war, um zu vermeiden, dass man das Buch immer wieder aus der Hand legte.
Selbst Ereignisse auf die der Roman hinarbeitet, die als besonders bedeutend für den weiteren Verlauf geschildert werden, können enttäuschen, so z.B. der Wettstreit vor dem - zum ersten Mal erscheinenden - Kaiser: Shigeko kämpft an Stelle ihres Vaters. Verliert sie, muss Takeo ins Exil gehen oder sich töten und die Drei Länder würden an einen der Fürsten des Küsters fallen. Dieser Wettstreit wird über viel Kapitel hinweg angekündigt, ist dann jedoch so vorhersehbar und schnell vorbei, dass ich mich wirklich gefragt habe, ob man ihn nicht hätte weglassen können. Auch der unausweichliche Kampf, der über das Fortbestehen der Drei Länder entscheiden soll, erweckt nicht die gleiche Spannung wie die Kampfschilderungen in den ersten drei Bänden.
Neben den bereits genannten gibt es noch ein weiteres Hauptthema, mit dem sich der Roman beschäftigt: die Religion. Schon in den ersten Bänden löste die Religion Konflikte aus: die so genannten Verborgenen, zu denen auch Takeo in seiner Kindheit gehörte, üben eine Religion aus, die der christlichen sehr nahe kommt. Sie haben nur einen Gott, kennen Himmel und Hölle. Unter früheren Herrschern wurden sie verfolgt, gefoltert und ermordet. Takeo, der dem Glauben seiner Kindheit mittlerweile abgelegt hat, hat diese Verfolgung abgeschafft und in den drei Ländern die Glaubensfreiheit eingeführt.
Nun treffen jedoch Fremde in den drei Ländern ein, die vermutlich aus Europa stammen. Sie versuchen nicht nur intensiven Handel zu treiben, sondern auch zu missionieren und die Bewohner der drei Ländern zum Christentum zu bekehren. Ich finde diesen dadurch entstehenden Konflikt zwar ziemlich interessant, kann aber das Gefühl nicht loswerden, dass er als eine Art Ersatz für die verfolgten Verborgenen dient.
Noch ein Wort zum Ende: der Epilog aus Band drei verrät mit Takeos bereits genannten Worten natürlich in gewisser Weise, wie Band vier enden wird. Dennoch hatte ich stark den Eindruck, als habe Lian Hearn diesen vierten Band geschrieben, um das scheinbare Happy End nach Band drei aufzuheben und alle Personen am Ende von Band vier ins Unglück zu stürzen. Natürlich will nicht jeder Leser ein Happy End und viele werden sich über den sehr tragischen Ausgang vielleicht sogar freuen. Ich persönlich fand ihn enttäuschend, zumal der Leser Takeos Tod nicht einmal beiwohnen darf.

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Diese Rezension wurde verfasst von RUT.
Veröffentlicht am 01.01.2010

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