Der Riss

Autor*in
Spottorno, CarlosAbril, Guillermo
ISBN
978-3-945034-65-1
Übersetzer*in
Höchemer, André
Ori. Sprache
Spanisch
Illustrator*in
Spottorno, Carlos
Seitenanzahl
184
Verlag
avant-verlag
Gattung
Buch (gebunden)Comic
Ort
Berlin
Jahr
2016
Lesealter
14-15 Jahre16-17 Jahreab 18 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Preis
32,00 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Teaser

Der Band DER RISS vereint mehrere Fotoreportagen des Fotografen Carlos Spottorno und des Reporters Guillermo Abril, die für das spanische Investigativmagazin El Pais Semanal enstanden sind. Die nachträglich kolorierten und mit Infotexten versehenen Fotostrecken suchen nach den Ursachen der neueren politischen Krise der Europäischen Union und finden sie an deren Grenzen.

Beurteilungstext

Es gibt zahlreiche philosophische und soziologischen Theorien, die die Krise einer Gemeinschaft als Krise seiner Grenzen verstehen. Genau diesem Verständnis folgt die Fotoreportage DER RISS der spanischen Journalisten Carlos Spottorno und Guillermo Abril, die in den Jahren 2015 und 2016 entstanden sind. Um die Ursachen und Auswirkungen der europäischen Identitätskrise (Stichworte: Flüchtlingskrise, Konflikt mit Russland, Islamistischer Terror, Rechtspopulismus) zu ergründen, bereisten die beiden die EU-Außengrenze vom afrikanischen Kontinent bis in die Arktis. Der Band dokumentiert die Ergebnisse dieser Reise entlang der europäischen Peripherie. Dazu besuchen sie die zahlreichen Flüchtlingslager diesseits und jenseits der Grenze, treffen auf Migranten, welche den entscheidenden Übertritt noch vor oder bereits hinter sich haben. Hier wie dort erzählen die Geschichten der Geflüchteten von Not und Leid; wie es sie zur Flucht getrieben hat, aber auch, wie sie es auf ihrer Flucht nach Europa erst erfahren haben. DER RISS zeigt auch, dass man sich die europäische Grenze nicht einfach als eine säuberlich gezogene Trennlinie zwischen der EU und dem Rest der Welt vorstellen kann, denn Innen und Außen erscheinen hier plötzlich auf höchst komplizierte Weise ineinander verfaltet: Da gibt es einerseits Melilla, eine europäische Exklave im äußersten Nordosten Marokkos liegend; ein Überbleibsel spanischer Kolonialpolitik der vergangenen Jahrhunderte. Die Stadt ist seit einigen Jahren wichtiger Anlaufpunkt afrikanischer Migranten und daher wie eine militärische Hochsicherheitsanlage – mit zahlreichen Stacheldrahtzäunen und sonstigem Überwachungsequipment ausgestattet – abgeschottet. Dennoch versuchen Tag für Tag Tausende, diese Anlagen in Hoffnung auf ein besseres und selbstbestimmtes Leben zu überwinden. Auf etwas Ähnliches, aber dabei gewissermaßen Umgedrehtes, zeigen die Autoren mit ihrer Reise nach Kaliningrad. Das kleine Stück Land ist eine Enklave auf dem Territorium der EU und gehört hoheitlich zur Russischen Föderation. Auch hier zeugen hoch militarisierte Grenzsicherungsanlagen in den beiden Anrainerstaaten Polen und Litauen von einem Grundgefühl der Angst, diesmal nicht vor fremden Zuwanderern, sondern vor dem großen und als übermächtig empfundenen Nachbarn Russland. Einen Grund zur Zuversicht gibt der dort rege vorherrschende Grenzverkehr in beide Richtungen: bei allen diplomatischen Spannungen betreiben die dort ansässigen Menschen weiterhin kulturellen und ökonomischen Austausch. Die Art und Weise, wie Europa seine Krise bewältigen wird, zeigt sich darin, wie die Menschen mit der Grenze und dem Dahinterliegenden umgehen: Als Ausschluss von etwas Bedrohlichem bzw. Feindlichem oder in Form einer Öffnung zu einem interkulturellen Austausch hin.
Hinsichtlich der Gestaltung des Buches muss man kritisch anmerken, dass die Begriffe Comicreportage oder Graphic Novel, unter denen das Buch vermarktet wird, bei genauerer Betrachtung ein wenig wie Etikettenschwindel erscheinen. Im Grunde genommen haben wir es hier mit einer reinen Fotoreportage – mit hinzugefügten Infotexten – zu tun, in der die Fotos nachträglich grafisch stark bearbeitet worden sind und so einen Hauch des Gezeichneten in sich tragen. An sich gibt es gegen eine solche Bearbeitung kaum etwas zu sagen, es wäre dann aber sinnvoll gewesen, das dahinter liegende Motiv stärker zu beleuchten und damit auch das Verhältnis von Foto und Zeichnung, wie es sich in diesem Buch ja in besonderem Maße aufdrängt, stärker zu reflektieren. Andererseits ist zu würdigen, dass sich die beiden Autoren gesellschaftspolitisch lange verdrängten Fragen gewidmet haben. Um diese kollektiven Verdrängungen zu unterbrechen, braucht es manchmal den Rückgriff auf solche populären und verbreiteten Medien- und Erzählformate wie eben den Comic.

Für namentlich oder mit Namenskürzel gekennzeichnete Beiträge und Beurteilungen liegt die presserechtliche Verantwortung beim jeweiligen Autor bzw. bei der jeweiligen Autorin.

Diese Rezension wurde verfasst von mz; Landesstelle: Sachsen-Anhalt.
Veröffentlicht am 13.02.2018