Der Raub des Bücherschatzes

Autor*in
Behrens, Katja
ISBN
978-3-446-23887-9
Übersetzer*in
Ori. Sprache
Illustrator*in
Seitenanzahl
208
Verlag
Hanser
Gattung
Ort
München
Jahr
2012
Lesealter
12-13 Jahre14-15 Jahre16-17 Jahreab 18 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Bücherei
Preis
14,90 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Heidelberg im Dreißigjährigen Krieg. Tillys Truppen erobern und verheeren und plündern die Stadt, die Frauen und Mädchen werden vergewaltigt. Anna und Jakobe retten sich danach, indem sie sich als Jungen verkleiden und mit dem Tross des Papstes, der die große Bibliothek erhalten soll, ziehen sie nach Rom. Der lange und beschwerliche Weg kostet Blut und Tränen, die Beiden und ihre Freunde überstehen die Gefahren, nach drei Monaten sind sie frei und kennen die Liebe ihres Lebens.

Beurteilungstext

Hatten wir alles schon: Roadstory; Mädchen in Jungenkleidern; Mittelalterchaos; Krieg; etc. Aber so habe ich das noch nicht gelesen! Katja Behrens beschreibt nicht nur die Grimmelhausensche Welt gekonnt und kenntnisreich, sondern sie beschreibt ihre Heldinnen von innen. Jakobe hat Angst. Sie hat Angst nach der Vergewaltigung. Sie hat Angst vor der Ungewissheit, vor der Entdeckung, vor den groben Söldnern, vor dem Wetter, der Kälte (im Winter für Wochen im Freien!), vor den Bergen, vor den Hexenjagden (in Ellwangen, durch das sie reisen müssen, wurden jüngst vierhundert Menschen als Hexen verbrannt), vor Vampiren (an die damals geglaubt wurde, sogar “wissenschaftliche Abhandlungen” wurden über die Wiedergänger geschrieben) - vor der ganzen Welt. Diese Welt von 1623 ist noch mittelalterlich geprägt. Jakobes Angst ist allgegenwärtig und verständlich. Aber sie ist dieser Angst nicht völlig ausgeliefert (und damit sind die Leser auch nicht mit den Ängsten der Heldin allein gelassen). Jacobe hat Freunde. Gemeinsam mit ihrer Freundin Anne entschließt sie sich, das Kind, was in ihr wächst, abzutreiben. Die beiden verwandeln sich in Jungs und heuern bei dem Jesuitenpater an, der die große Bibliothek in den Vatikan transportieren soll. Ignorant wie derlei Herren seinerzeit waren, spricht er nur Lateinisch und ist verwundert, dass die Heidelberger dieser Sprache nicht mächtig sind. Aber Jakobe, jetzt Jakob, war gelehrige Schülerin des Bibliothekars und kann als Dolmetscher dienen. Sie findet schnell Freunde, vor allem einen englischen Schauspieler, der wie sein Freund Shakespeare William heißt, viel älter und erfahrener ist und in jeder Situation ein passendes Zitat seines Freundes weiß. Dazu kommt noch Max, der Sohn des Gärtners aus Heidelberg, in den Jakobe sich unsterblich verliebt, der aber völlig verwirrt ist, von einem Jungen angehimmelt zu werden. Es dauert lange, bis Max erkennen darf, dass Jakob ein Mädchen ist. Nicht allen kann Jakobe so viel vormachen, gefährlich wird es, als ausgerechnet ihr Peiniger aus Tillys Armee, der den Geleitschutz des Bücherraubzuges führt, sie erkennt. Aber Jakobe wächst mit ihren Anforderungen: Sie erkennt, dass der Söldner auch seine Ängste hat, dass der schwule Jesuit vor lauter Ängsten kaum schlafen kann - keiner der ihr gefährlich werdenden Menschen ist frei von Ängsten. Und das nimmt ihnen die Macht über das 16-jährige Mädchen. Sie wird so stark, dass sie sogar die einzige Frau in Ellwangen besuchen kann, die die Hexenprozesse überlebt hat. Trotz Folter hat sie nichts zugegeben, ließ sich nicht von ihrem Glauben abbringen. Sie erzählt dem Mädchen, wie sie gepeinigt wurde. Ein nüchtern-anrührendes kleines Kapitel über die Grausamkeit des Menschen, über die dubiose Rolle der Kirche.
Unseren Kindern ist Aufklärung selbstverständlich. Wie das aber vor 400 Jahren aussah, beschreibt Behrens erhellend. Nichts war gewiss, die allgemeinen Kenntnisse waren mangelhaft. Aber die beiden Mädchen sind - ganz Kinder ihrer Zeit - findig genug, einen Ausweg aus jeder Situation zu finden. Und die Autorin ist recht erfinderisch darin, immer neue Gefahren herauf zu beschwören.
Und Humor hat sie zudem. Vielerlei komische Situationen ergeben sich alleine schon aus dem Rollentausch, immer wieder trifft Jakobe junge Mädchen, die sich heillos in den hübschen Jakob verlieben - Jakobe ist ebenso verwirrt wie Max, der an seiner Heterosexualität zu zweifeln beginnt. Homosexualität stand aber stark unter einem kirchlichen Tabu. Und der Jesuitenpater versucht den hübschen Jungen ebenfalls immer wieder zu umgarnen, Jakobe hat große Schwierigkeiten, sich den Avancen zu entziehen. Ihr Lehrmeister William ist ihre letzte Rettung.
Was Bücher in einer Zeit ohne Bildung bedeuten, wird immer wieder in Frage gestellt - hochaktuell, stellt sich diese Frage doch heute im Zeitalter der allerorten zugänglichen Informationen aller Art auch wieder, gewissermaßen vom anderen Ende her. Aber Vielen ist seinerzeit nicht klar geworden, warum Bücher überhaupt eine so gefährliche und teure Expedition erforderten. Nur strenge Asketen wie der Jesuit können ihren Auftrag über alle anderen Interessen stellen und sichern, dass eher Menschen ihr Leben verlieren dürfen als dass ein Buch beschädigt wird. Menschenleben zählten damals nicht, Bücher waren noch Kostbarkeiten, die meisten waren schier unersetzlich, weil es nur ein Exemplar überhaupt davon gab. Und im Vatikan sind sie auch alle noch vorhanden.
Dieser außergewöhnliche Historienroman ist ein Exkurs in viele Bereiche des Lebens - und lebendig und spannend geschrieben. cjh12.05

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Diese Rezension wurde verfasst von cjh.
Veröffentlicht am 01.01.2010

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