Der Rattenfänger von Hameln - was wirklich geschah: Romeo, der Zaubertrommler
- Autor*in
- Zillgens, Gerlis
- ISBN
- 978-3-943086-92-8
- Übersetzer*in
- –
- Ori. Sprache
- –
- Illustrator*in
- Jäger, Katja
- Seitenanzahl
- 75
- Verlag
- Südpol
- Gattung
- Buch (gebunden)Erstlesebuch
- Ort
- Grevenbroich
- Jahr
- 2019
- Preis
- 12,90 €
- Bewertung
Teaser
Von wegen, damals in Hameln hat der Rattenfänger die Ratten und die Kinder aus der Stadt gelockt. Das waren doch Romeo und Jule, die die Ratten aus der verdreckten Stadt in die schöne Natur bringen wollten. Aber geholfen hat ihnen dabei, wie in der Sage, der Zauber der Musik. Für alle, die schon immer wissen wollten, was wirklich in Hameln passiert ist, hat dieses bunt illustrierte Kinderbuch die Antwort.
Beurteilungstext
Wer hat eigentlich festgelegt, dass Märchen genauso sind, wie sie in unseren Märchenbüchern stehen? Vielleicht ist ja gar nicht alles so passiert, wie es uns erzählt wird. Womöglich war die Hexe von „Hänsel und Gretel“ einfach nur unglaublich hungrig und hatte genug von dem vielen Süßkram an ihrem Häuschen. Gab es denn Augenzeugen, die diese Geschichten bestätigen können? Oder Zeitzeugen, die sagen: „Ich stand damals auf dem Marktplatz, als der Kaiser ohne jegliche Kleidung vor das Volk trat!“ Sicherlich, Märchen sind schon sehr alt und zählen zu unserem literarischen Kulturgut, aber vielleicht war es ja doch nicht alles so, wie der Verfasser es uns erzählen möchte. Und mit einer anderen Sicht auf die Dinge bekommt so eine alt bekannte Geschichte eine ganz neue Perspektive. So wie der Hollywood Film „Maleficent – die dunkle Fee“, in welchem das bekannte Märchen „Dornröschen“ aus der Sicht der bösen Fee erzählt wird. Märchen neu oder umzuschreiben ist keine Seltenheit in der Literatur.
Die Autorin Gerlis Zillgens hat bereits drei Märchen in ihre eigenen Erzählungen umgewandelt: 2017 „Der Froschkönig – was wirklich geschah: Hipp & Hopp retten Papa Grünsprung“, 2018 „Die Bremer Stadtmusikanten – was wirklich geschah: Oskar ganz nach oben“ und 2019 „Der Rattenfänger von Hameln – was wirklich geschah: Romeo, der Zaubertrommler“. Gemeinsam mit der Illustratorin Katja Jäger hat sie diese Kinderbücher gestaltet und neue Fantasiewelten um altbekannte Handlungen und Figuren gewoben.
Für Zillgens drittes Buch um die kleine Ratte Romeo hat die Verfasserin sich im Museum in Hameln ausführlich über die Sage des Rattenfängers von Hameln informiert. Was für eine grausame Geschichte, in welcher der Rattenfänger erst die Stadt Hameln von den Ratten befreite, dann aber, wegen ausfallender Bezahlung, auch die Kinder aus der Stadt fortlockte. Behilflich war ihm dabei eine Flöte, auf der er spielte.
Zillgen hat nun aus dem ihr gegebenen Grundgerüst der Sage eine neue Erzählung geschaffen. Im Mittelpunkt steht hierbei die kleine Ratte Romeo. Romeo besucht nicht so gerne den Unterricht der Müllschule bei Frau Siebensammler. Viel lieber möchte der begeisterte Trommler Romeo in eine Musikschule gehen und später mal Musiker in einer Band werden. Seine Eltern können das gar nicht verstehen, denn alle Ratten werden eines Tages entweder Müllarbeiter oder Lehrkräfte für zukünftige Müllarbeiter. Das ist eine wirklich wichtige Aufgabe, denn die Stadt Hameln ist stark verdreckt. Darum arbeiten die Ratten auch im Schichtbetrieb, um den von den Menschen angesammelten Müll abzubauen. Der Bürgermeister der Stadt Hameln hat ein ganz anderes Problem: Ratten. Sie sind überall, sie sind schmutzig und der Bürgermeister möchte dieser Rattenplage lieber heut als morgen ein Ende bereiten. Darum gibt er seiner Tochter Jule auch Geld, wenn sie für ihn eine Ratte einfängt.
Und so passiert es, dass Romeo auf der Suche nach einer neuen Trommel in Jules Falle gerät. Zu seiner Rettung hat sich Lorenzo, der beste Fallenknacker der Welt, auch fangen lassen. Das macht Lorenzo eigentlich täglich, denn so kann er sich und die anderen Ratten wieder befreien und mit ihnen zurück zum Müllberg gehen. Romeos Begeisterung für seine neue Trommel lässt ihn erneut in Gefahr und somit zum zweiten Mal in Jules Falle geraten. Diesmal kann er sich selbst befreien, doch etwas lässt ihn immer wieder zu Jules Haus zurückkehren. Jule ist eine begeisterte und talentierte Flötenspielerin und sie zieht Romeo förmlich in ihren Bann. Zu gern nur möchte er mit ihr Musik machen und sie mit seiner Zaubertrommel begleiten. Gleichzeitig wird die Gefahr, für die Ratten in der Stadt zu bleiben, immer größer. Denn der Bürgermeister hat beschlossen, Köder mit Betäubungsmitteln auszulegen, um die Ratten aus der Stadt zu schaffen. Romeo und Lorenzo sehen nur einen Ausweg: sie müssen Jule davon überzeugen, mit ihrer zauberhaften Flötenspielerei die Ratten aus der Stadt zu locken. Doch wird ihnen das gelingen? Und wie soll die kleine Ratte Romeo ein Mädchen davon überzeugen, ihm zu helfen?
„Der Rattenfänger von Hameln – was wirklich geschah: Romeo, der Zaubertrommler“ bedient sich nur in Ansätzen der Parallelität zur Originalsage „Der Rattenfänger von Hameln“. Das Flötenspiel, die Kinder und die Rattenplage sind auch in Gerlis Zillgens Erzählung die zentralen Themen. Doch gestaltet sich die Handlung ganz anders, als bisher bekannt.
Insgesamt überzeugt die Erzählung mit einer unterhaltsamen Neuerzählung der Sage bzw. des Märchens. Die Perspektive aus der Sicht der Ratten statt aus der Sicht der Menschen ist sehr kindgerecht und macht gleichzeitig Lust, sich genauer mit dem Original zu beschäftigen. Auch das Ende ist ein zu erahnendes Happy End, doch das passt zur Geschichte und rundet diese nur ab. Somit unterscheidet sich Zillgens Fassung vom traurigen Ende im Original. Sie eignet sich somit vielleicht eher für Kinder, als die gruselige Sage des Rattenfängers. So werden die Ratten beispielsweise nur lebend gefangen und sollen nicht mit Ködern vergiftet, sondern nur betäubt werden. Insgesamt handelt es sich um eine sehr lebhafte und muntere Erzählung. Die Sprache ist vielfältig und sehr bildhaft. Musik, die Romeo mit seiner Trommel macht, wird lautmalerisch im Text wiedergegeben: „PLONG“. Wortneuschöpfungen wie z.B. „Blödbommel“, „Mama-sorgt-sich-Programm“, „Puddingplumpser“, können aus dem Zusammenhang erschlossen werden und steigern den Unterhaltungswert der Geschichte. Es werden auch englische Begriffe, wie „Band“ und „Loser“ im Text verwendet und als Fußnote unterhalb des Textes erklärt. Der Leser bzw. die Leserin liest oder hört die Geschichte aus der persönlichen Erzählperspektive von Romeo. Somit erfährt man viel über seine Gedanken und Gefühle.
Dies führt allerdings auch dazu, dass man viel erfährt über die Begeisterung Romeos für Jule und ihr Flötenspiel. Was schon fast zu einer Besessenheit führt, welche Romeo an nichts anderes mehr denken lässt, als an diese Musik. Romeo weiß, wann Jule wo ist und er lauert ihr wiederholt auf und verfolgt sie. Aus einer anderen Perspektive könnte man dieses zwanghafte Verhalten schon fast als Stalken bezeichnen. Literarisch bringt die Verfasserin damit aber die Faszination für die Musik zum Ausdruck. Etwas, das ja auch in dem Märchen „Der Rattenfänger von Hameln“ ein zentraler Aspekt ist. Gleichzeitig verleitet das Buch, auch mal zum Instrument zu greifen, da die Liebe zur Musik und zum instrumentellen Musizieren sehr ansprechend beschrieben wird.
Ergänzend zur Erzählung untermalen die Illustrationen von Katja Jäger die Handlung. Farbenfrohe, freundliche, realistische und detaillierte Zeichnungen zieren jede Doppelseite und die sympathisch gestalteten Figuren laden zum Identifizieren mit ihnen ein. Große Augen und ausdrucksstarke Gesichter lassen auf die Emotionen der Charaktere schließen. Somit bietet sich „Der Rattenfänger von Hameln – was wirklich geschah: Romeo, der Zaubertrommler“ wunderbar als Vorlesebuch an, bei dem zukünftige Leser und Leserinnen die Geschichte anhand der Zeichnungen gut mitverfolgen können. Durch die Aufteilung des Buches in 14 Kapitel mit durchschnittlich 6 Seiten kann das Buch auch gut vor dem zu Bett gehen gelesen werden. Die Aufteilung in Kapitel macht das Buch auch für Erstleser und Erstleserinnen interessant. Die Schrift ist etwas größer und vor jedem neuen Kapitel gibt es eine Überschrift. Für den Unterricht würde ich das Buch nicht verwenden, sondern eher für das private Lesevergnügen.
„Der Rattenfänger von Hameln – was wirklich geschah: Romeo, der Zaubertrommler“ ist ein lustiges und sowohl zeichnerisch, als auch inhaltlich ansprechendes Kinderbuch für Kinder im Alter zwischen fünf und acht Jahren. Hierbei eignet es sich sowohl als Vorlese- als auch als Selbstlesebuch. Die Erzählung hat nur noch ansatzweise Parallelen mit der Sage „Der Rattenfänger von Hameln“, bleibt sich aber selbst treu und wirkt daher auch nicht künstlich konstruiert, sondern ist vielmehr eine eigenständige Geschichte. Hierbei wurde viel Wert auf Bezüge zur aktuellen kindlichen Welt gelegt und so wird die Fantasie der Leser und Leserinnen angeregt. Der einzige Kritikpunkt ist die Schilderung des „Stalkerverhaltens“ von Romeo, wenn er Jule beobachtet, verfolgt und ihr auflauert. Dies empfand ich als übertrieben dargestellt, überlasse es aber zukünftigen Lesern und Leserinnen, ob sie mir da zustimmen oder die Dramatik dahinter nicht sehen. Insgesamt ist es ein schönes Buch, das sich wunderbar als Geschenk eignet. Abschließend ist noch positiv zu erwähnen, dass auch das aktuelle Naturzerstörungsthema unterschwellig in den Schilderungen zur übertriebenen Müllproduktion durch den Menschen behandelt wird und Ratten als saubere und hilfreiche Tiere, die auch Kleidung tragen und Instrumente spielen können, beschrieben werden.