Der Mann von der anderen Seite
- Autor*in
- Orlev, Uri
- ISBN
- 978-3-407-80992-6
- Übersetzer*in
- Pressler, Mirjam
- Ori. Sprache
- Hebräisch
- Illustrator*in
- –
- Seitenanzahl
- 216
- Verlag
- –
- Gattung
- –
- Ort
- Weinheim
- Jahr
- 2007
- Lesealter
- 12-13 Jahre14-15 Jahre16-17 Jahreab 18 Jahre
- Einsatzmöglichkeiten
- –
- Preis
- 12,90 €
- Bewertung
Schlagwörter
Teaser
Marek, ein 14jähriger Pole, erlebt die Judenverfolgung im Warschauer Ghetto als Beobachter, selbst nicht judenfreundlich und wirtschaftlich profitierend. Das ändert sich, als er von seiner Mutter mehr über seine Herkunft erfährt. Vor allem aber auch, als Herrn Jozek trifft, einen Juden, dem die Flucht aus dem Ghetto gelang und den er jetzt versteckt. Als der Aufstand im Ghetto ausbricht, will Herr Jozek zurück, um zu kämpfen, doch Marek müsste ihn durch die Kanalisation dorthin führen.
Beurteilungstext
Was für eine dramatische, ergreifende Geschichte! Und man muss sich immer wieder klarmachen, dass ein Israeli sie geschrieben hat. Warum? Weil fast das ganze Buch von Aussagen und Meinungen ÜBER Juden lebt, nicht freundlich, nicht mitfühlend, beinahe so antisemitisch wie die der Nazis. Diese Meinungen bleiben weithin unkommentiert, sie entsprechen - mehr als beim Großteil der Literatur über die Nazizeit - weitgehend dem allgemein herrschenden Judenhass jener Jahre, der keineswegs auf Deutschland beschränkt war. Juden sind einfach anders, fremd, undurchschaubar, sie wollen auch anders sein - so die allgemeine Meinung. Erst allmählich begreift Marek und mit ihm der Leser, dass sie Menschen wie alle anderen sind und Marek ist erstaunt darüber.
Als er erfährt, dass auch sein im Widerstand ermordeter Vater Jude war, stürzt für ihn zunächst eine Welt zusammen, denn damit fiele der Hass der Umwelt auch auf ihn, wenn diese Umwelt davon wüsste. Doch er kann ab sofort nicht mehr wegsehen, beginnt mitzufühlen und am Ende auch mitzukämpfen.
Das alles wird zwar aus der Ich-Perspektive erzählt, aber nur bedingt aus der miterlebenden Gegenwart. Immer wieder wird erkennbar, dass der Erzähler erst viele Jahre später über jene Geschehnisse berichtet, im Rückblick und mit Erkenntnissen und Erfahrungen, die er erst später sammeln konnte. Das sollte distanzieren, auf Abstand bringen, doch erstaunlicherweise bleibt der Leser “am Ball”, erlebt und erfühlt mit, als wäre er direkt dabei. Und es gibt viel zu erleben. Auch wenn “die Deutschen” relativ konturenlos bleiben, beinahe nur am Rande auftauchen, die Atmosphäre ist durchgängig bedrohlich, gefährlich, von Not, Unterdrückung und Verrat geprägt, auch für Polen.
Auf dem Höhepunkt der Geschichte, in der Phase des Kampfes im Ghetto gegen Ende, liegen auch beim Leser die Nerven blank, stockt der Atem und der Herzschlag wie beim spannendsten Thriller und man hofft nur auf ein gutes Ende. Das allerdings kommt nur zum kleinsten Teil, wenn Marek überlebt, sonst könnte er ja nicht erzählen. Um ihn herum türmen sich die Verletzten und Toten, kaum vorstellbar, dass es wirklich so und noch schlimmer war.
Wie aber kommt ein Israeli dazu, so zu schreiben? Im Vorgängerbuch “Lauf, Junge, lauf” war doch der Blickwinkel noch der des gejagten Juden? Orlev klärt das selbst in seinem Nachwort: Er traf viele Jahre nach dem Krieg den ihm fremden Polen in Israel und erfuhr in vielen Gesprächen die hier erzählte Geschichte, durfte sie aber zu Lebzeiten “Mareks” nicht veröffentlichen. Erst kurz nach der Niederschrift kam der polnische Journalist bei einem Flugzeugabsturz ums Leben und der Weg zur Veröffentlichung wurde frei. “Wie das Leben so spielt”, sagt man in solchen Fällen. Von Spielen wollen wir hier nicht reden, aber dass diese Kombination von Zufällen und “Schicksal” zu einem solch großartigen Buch führte, können wir nur begrüßen. Es lohnt zu lesen!