Der Mann, der barfuß lief

Autor*in
Rambali, Paul
ISBN
978-3-551-58172-3
Übersetzer*in
Schmitz, Birgit
Ori. Sprache
Englisch
Illustrator*in
Seitenanzahl
397
Verlag
Carlsen
Gattung
Ort
Hamburg
Jahr
2008
Lesealter
12-13 Jahre14-15 Jahre16-17 Jahreab 18 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Preis
16,90 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Als Abebe Bikila 1960 den olympischen Marathonlauf gewann, barfuß und als erster Afrikaner, jubelte ihm die Welt zu. Dass aber auch ein Naturtalent nicht ad hoc gewinnen kann und eine lange, disziplinierte und logistisch durchgeplante Karriere dem vorausgeht, zeigt dieser flüssig und spannend geschriebene Sportlerroman.

Beurteilungstext

Es ist schon merkwürdig, heute von der preußisch-disziplinierten Welt am Hofe Haile Selassis zu lesen, dessen geistige Nachfahren, die Rastafaris, so gar nichts davon zeigen. Vor 50 Jahren aber sah es am Hofe von Addis Abeba noch anders aus. Und so ist es auch nicht so fern liegend, einen Profi-Trainer zu sehen, der diese Disziplinfähigkeiten nutzen will und kann, um aus den Rekruten am Hofe Hochleistungssportler zu machen. In der Nachkriegszeit kam so etwas einem Sakrileg gleich. Es reicht nicht zu sehen, dass die Äthiopier schnelle Läufer waren, das musste auch genau untersucht und belegt werden. Erst als schwedische Sportmediziner die Sportler genau vermessen und getestet hatten, war es möglich, sie bei dem Olympischen Komitee anzumelden, so dass Äthiopien als erstes afrikanisches Land - wenn man die Mannschaft Südafrikas, die nur aus Weißen bestand, nicht mitrechnet - Olympiateilnehmer stellte.
In der ersten Hälfte liest man von dem im Mittelalter stehen gebliebenen Land, dem ungebrochenen Absolutismus Haile Selassis und den ersten Schritten in die Moderne. Abebe Bikilas Olympiasieg ist ein wesentlicher Teil davon. In der zweiten Hälfte des Romans aber beginnt der Abstieg. Formal behandelt Rambali das durch die verschränkte Erzählung von Abebes Biografie: ein Handlungsstrang setzt die chronologische Erzählung fort, der andere beschreibt seine Rekonvaleszenz nach einem Autounfall. Abebe konnte zwar noch einmal, wie kein anderer zuvor, seinen Olympiasieg wiederholen, dann aber musste er sehen, dass er sich einen anderen Bereich suchte. Gleichzeitig steht Heile Selassi vor dem Ende, es gelingt ihm noch, einen Putsch des Militärs niederzuringen, aber der Abstieg ist eingeläutet.
Merkwürdig widersprüchlich ist dieses dicke Buch. Es ist zu dick, um Menschen zu reizen, die eigentlich lieber laufen als zu lesen. Aber es ist eindeutig auch für Sportler geschrieben. Und gut, so dass man es in einem Zug durchlesen könnte, wenn es nicht diese 400 Seiten wären. Von den Sportlern, um die es in dem Buch geht, erfährt man nur wenig über ihr Innenleben, fast nichts darüber, wie es dem nordischen Trainer in dem afrikanischen Land geht, wie er sich den Menschen dort nähert, was und ob überhaupt er etwas außerhalb des Sports macht. Nur in Nebensätzen erfährt man, dass er einmal verheiratet war, das Gespräch der Partner aber eines Tages verstummte. Viel dagegen liest man über das Warum, warum er die Läufer motiviert, warum die Athleten trainieren, warum sie aus der entlegenen Dorfwelt in die Hauptstadt kommen, warum sie als Soldaten für den Kaiser dienen, warum sie nichts in Frage stellen. Allgegenwärtig ist der gegenseitige Respekt, mit dem die Protagonisten umgehen. Konsequent Siezen sich alle, das koloniale Du existiert nicht, aber auch das heute selbstverständliche Du der Skandinavier nicht; die Handlung, das darf man dabei nicht vergessen, spielt um 1960. Zu einem Großteil dieses allgegenwärtigen Respektes trägt dabei die Übersetzung von Birgit Schmitz bei.
Der Autor behandelt mit eben diesem Respekt auch den Kaiser Äthiopiens. Mit Wärme beschreibt er dessen Versuche, Äthiopien als afrikanisches Land zu sehen, dass die Entwicklung des Kontinents voran treibt. Selassie sieht die Korruption und will klandestin einen Fortschritt erzielen, was aber zum Scheitern verurteilt ist, weil er den Profiteuren, allesamt dem Landesadel zugehörig, nicht weh tun will. Die Wärme des Autors teilt aber Selassie nicht. Er ist und bleibt der steife Monarch, der keinerlei Gefühl zu zeigen sich erlaubt.
Das einfache Volk aber hat eindeutig die Sympathien von Autor und Leser, knappe, aber genaue Beschreibungen von Leben und Handlung, Motiven und Gedanken tragen ein wenig dazu bei, Land und Leute verstehen zu lernen. Dazu gehören auch amüsante Anmerkungen, die das aufeinander Prallen der gegensätzlichen Kulturen kaum besser charakterisieren könnten.
Ob der Autor es als Botschaft verstanden sehen will oder ob es sich einfach zwingend aus der historischen Handlung ergibt, ist eigentlich gleichgültig: am Ende dieses sehr empfehlenswerten Buches ergibt sich die Frage nach dem Zusammenhang von Sport und Politik. Der schwedische Trainer Niskanen hatte sich zum Lebensprinzip gemacht, dass er sich aus allen politischen Diskussionen heraus halten muss, will er erfolgreich sein. Dass er dafür auf ein eigens Leben verzichtet, ist nur ein Nebenaspekt. Am Ende aber beginnt selbst er zu zweifeln, ob das immer so richtig ist. Er begegnet Nelson Mandela, bevor der zu seiner langen Haftstrafe verurteilt wurde, Abebe lernt Wilma Rudolph kennen, die so ganz anders lebt als er. Der Ausschluss Südafrikas von der Olympiade wegen seiner Apartheid-Politik bringt das Weltbild Niskanens ins Wanken, mehr aber nicht. Dem Leser aber wird deutlich, dass eine eindeutige Stellungnahme der Sportwelt zu Fragen der Menschenrechte durchaus einen Sinn haben und Wirkung zeigen kann.
Heute - Ostern 2008 - wiederholt sich die Geschichte: Die Frage nach dem Boykott der Olympischen Spiele in China stellt sich, weil China in Tibet unrechtmäßig vorgeht.
Vielleicht kann ein Leser dieses Buches die Wirkung einer internationalen Reaktion auch auf dem Gebiet des Sports besser beurteilen als zuvor.

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Diese Rezension wurde verfasst von cjh.
Veröffentlicht am 01.01.2010

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