Der kleine Mausche aus Dessau

Autor*in
Behrens, Katja
ISBN
978-3-446-23305-8
Übersetzer*in
Ori. Sprache
Illustrator*in
Seitenanzahl
204
Verlag
Hanser
Gattung
Ort
München
Jahr
2009
Lesealter
14-15 Jahreab 18 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Preis
14,90 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Mit 14 Jahren wandert der ängstliche und bucklige kleine Moses die fast 200 km nach Berlin. Ein ungeheurer Mut ist nötig, um das durchzustehen, denn vor rund 250 Jahren war das eine gefährliche Reise, besonders für einen Juden, für den es selbstverständlich ist, sein Judentum auch offen zu zeigen. Aber er findet einen Weggefährten, dessen Grobschlächtigkeit beiden zusammen den Weg einigermaßen ebnet. So kommt der kleine Moses dann doch noch an sein Ziel.

Beurteilungstext

Es ist wie eine Reise in ein fernes Land, diese Reisebeschreibung zu Zeiten Friedrichs des Großen. Katja Behrens nimmt den Leser mit auf diese Zeitreise und in aller Befremdlichkeit erscheint der kleine Moses - Mausche nennt er sich - als sympathischer und liebenswerter Bursche, der fest in seiner Religion steht und nur um ihretwillen die gefährliche Reise unternimmt. Er will bei Rabbi David Fränkel, der zuvor sein Lehrer in Dessau war, aber nach Berlin berufen wurde, weiter lernen. Es ist schier unglaublich (aber gut durch die detailgenaue Beschreibung der Autorin nachvollziehbar), wie Welten fremd der Junge aufgewachsen ist. Es ist nicht nur seine erste Reise, sondern fast alles ist das erste Mal, dass er es erlebt. Er sieht das erste Mal Enten, lernt Pflanzen kennen, Menschen und Antisemiten, Freunde und Feinde. Gleich zu Beginn wird er von Lausejungs verfolgt und nur zufälligerweise durch einen wandernden Schmiedegesellen gerettet. Die beiden extrem gegensätzlichen Jungen befreunden sich, Mausche lernt unendlich viel vom praktischen Leben - kaum aber, es anzuwenden. Und der Schmied Hannes lernt einen begabten Jungen kennen, bekommt das erste Mal etwas vorgelesen, und Mausche nimmt das erste Mal wahr, dass jemand mit der Schrift nichts anzufangen weiß.
Beide unterhalten sich in ihrer eigenen Sprache - Mausche auf Jiddisch und Hannes auf Hessisch - und dennoch verstehen sie sich, zunehmend auch immer besser. Das fordert dem Leser allerdings einiges ab: er muss sich auf diese beiden Sprachen einlassen. Zwar bleibt im Dialog nichts unübersetzt und im Anhang ist ein fast 6-seitiges Glossar mit den Vokabelübersetzungen, so dass jeder alles verstehen kann (und für Schnellleser der Sinn sich ohnehin immer aus dem Zusammenhang ergibt), aber die Bereitschaft muss eben bestehen.
Neben den seinerzeit üblichen Wanderschwierigkeiten und dem manches Mal recht aggressivem Antisemitismus erleben die beiden auch reichlich gefährliche Abenteuer: einmal werden sie gekidnappt, ausgerechnet von einer jüdischen Bande und nur das rettet ihnen das Leben: sie erkennen, dass Mausche Jude ist. Als die Bande dann eine veritable Gräfin entführt, müssen die Räuber erkennen, dass das für sie eine Nummer zu groß ist und sie wird wieder freigelassen - das Verhalten der Gräfin und ihrer Kammerfrau ist aber eine reine Kabarettnummer für den Leser. Die Klassenunterschiede könnten besser kaum beschrieben werden. Ein anderes Mal wird der kranke Mausche von Zigeunern gefunden und gesund gepflegt und er muss erleben, wie die Zigeuner von der Hand in den Mund leben und immer wieder um ihre mageren Verdienste geprellt werden, oft hilft ihnen nur die schnelle Flucht vor der offenen Feindschaft der Bevölkerung.
So setzen Mausche und Hannes ihren Weg fort, verlieren sich und finden sich wieder, bis sie Berlin erreichen und dort erfährt Mausche das erste Mal etwas völlig anderes: er wird mit Hochachtung am einzigen Tor empfangen, durch das Juden einreisen dürfen. Ein Schüler des hochangesehenen Fränkel wird schnell und komplikationslos von einem Vertreter der jüdischen Gemeinde empfangen.
Der spätere Freund Lessings und Vorfahre Mendelssohn-Bartholdys findet seinen Platz in der großen Stadt.

Im Nachwort skizziert Behrens das Leben Mendelssohns und seine Verdienste nüchtern. Sprachlich ist das eine völlig andere Welt als die Reisebeschreibung des Jungen.

Der Verlag empfiehlt das Buch für 12-Jährige. Wenn es sich dabei nicht um ausgefuchste Leseratten oder besonders am Leben der Juden Interessierte handelt, finde ich das zu früh. Interessierte 14-Jährige sind eher das Zielpublikum. Und - wie oben beschrieben - die Dialekte des Wiesbadeners und des Juden müssen die jungen Leser schon akzeptieren, nicht weil sie etwas nicht verstehen könnten (s.o.), sondern weil Kinder und Jugendliche oft Schwierigkeiten haben, Dialekte zu akzeptieren. (Oft bin ich auf erhebliche Schwierigkeiten geraten, wenn ich mit 14-Jährigen Berlinern Berliner Dialekt, sei es Hauptmann, sei es Zuckmayer oder was auch immer lesen wollte. Fremder Dialekt wurde gleich gar nicht akzeptiert, jedenfalls nicht ohne meine Insistenz.)
Aber lesenswert ist diese abenteuerliche Reisebeschreibung allemal. Sie ist spannend, lehrreich und anschaulich geschrieben, der Name und die Bedeutung Moses Mendelssohns können so bekannt bleiben und der Leser bekommt ein Gefühl für Geschichte - Reisen war immer interessant und damals eben reichlich gefährlich.

Für namentlich oder mit Namenskürzel gekennzeichnete Beiträge und Beurteilungen liegt die presserechtliche Verantwortung beim jeweiligen Autor bzw. bei der jeweiligen Autorin.

Diese Rezension wurde verfasst von cjh.
Veröffentlicht am 01.01.2010

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