Der Junge mit dem gestreiften Pyjama

Autor*in
Boyne, John
ISBN
978-3-596-85228-4
Übersetzer*in
Jakobeit, Brigitte
Ori. Sprache
Englisch
Illustrator*in
Seitenanzahl
266
Verlag
FISCHER Schatzinsel
Gattung
Ort
Frankfurt
Jahr
2007
Lesealter
12-13 Jahre14-15 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Preis
13,90 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Auschwitz 1942: Bruno, ein neunjähriger Junge, zieht mit seiner Familie von Berlin nach Auschwitz. Sein Vater ist Lagerkommandant. Von seinem Zimmer aus kann er das Lager und die Menschen sehen. Er weiß nichts vom Holocaust und was im Lager passiert. Bruno versucht zu ergründen, was hinter dem Zaun geschieht und wandert am Zaun entlang. Dort entdeckt er einen Jungen, der sein bester Freund wird. Doch Bruno kennt keine Grenzen und plötzlich befindet er sich mittendrin im schrecklichen Geschehen.

Beurteilungstext

Auf Spurensuche - dies- und jenseits des Zauns
Wenn es ein Buch gibt, das mit höchster Sanftheit und leisesten Tönen versucht, Schrecken und Grauen des menschlichen Daseins zu beschreiben, dann ist es John Boynes "Der Junge im gestreiften Pyjama". Es ist kein Buch für Neunjährige, wohl aber für jugendliche Leser und Erwachsene, die - haben sie die Geschichte gelesen - zunächst einmal sprachlos, dann erschüttert und tief bewegt sein werden.
Bruno, ein neunjähriger Junge, nimmt den Leser mit auf eine Reise, die ihn nach Auschwitz und in das Jahr 1942 führt. Zusammen mit seiner Familie muss er aus dem schönen Haus in Berlin umziehen an einen fremden Ort mit dem seltsamen Namen "Aus-Wisch" in ein Haus, das ihm gar nicht gefällt. Und das alles wegen der "speziellen Arbeit" seines Vaters, von der Bruno trotz Nachfragen keine konkrete Vorstellung hat. Er weiß nicht, dass sein Vater Lagerkommandant von Auschwitz ist. Von seinem Zimmer aus kann er einen hohen Drahtzaun mit aufgerollten Stacheldrahtballen erkennen, hinter dem er viele Menschen mit gestreiften Pyjamas beobachtet. Auf seine Frage, wer die vielen Menschen hinter dem Zaun sind, erhält er von seinem Vater keine befriedigende Antwort. Doch Bruno, der gern Forscher werden möchte, beschließt die Dinge in Aus-Wisch zu ergründen. Aus Langeweile und weil er mit niemanden spielen kann, widersetzt er sich dem Verbot der Eltern und läuft entlang des Zauns, der scheinbar ins Endlose führt. Auf der anderen Seite entdeckt er einen traurigen, dünnen Jungen im gestreiften Pyjama, der Schmuel heißt und sein bester Freund wird. Immer wieder besucht er ihn, bringt ihm Essen und unterhält sich mit ihm. Bruno erfährt von seinem neuen Freund, dass er aus Polen kommt und dass das Leben hinter dem Zaun nicht schön ist. Doch Brunos Forscherdrang kennt keine Grenzen und plötzlich befindet er sich mittendrin im schrecklichen Geschehen.
Der Autor John Boyne greift mit seiner Geschichte auf einen seit Grimmelshausen verwendeten literarischen Kunstgriff zurück: Er erzählt aus der Perspektive eines neunjährigen, naiven Jungen, der nichts vom Holocaust und Konzentrationslagern weiß, der die entsetzlichen Dinge, die in Auschwitz passieren, nicht durchschaut, der in seiner kindlichen Welt lebt und doch intuitiv ahnt, dass an diesem hässlichen Ort Unrecht geschieht.
Durch die Augen Brunos, der Täter und Opfer zugleich ist, erlebt der Leser einen Teil der nationalsozialistischen Zeit, das Konzentrationslager Auschwitz und seine Maschinerie von Gewalt und Gehorsam. Und obwohl von den Grausamkeiten im Lager nichts erzählt wird, schafft es Boyne, den Leser emotional zutiefst zu bewegen. Das liegt vor allem daran, dass die Unwissenheit und Unschuld Brunos nicht mit dem Wissen des Lesers übereinstimmt. Aus dieser Unstimmigkeit erwächst auch die gesamte Dramatik der Geschichte, deren Handlung zu Beginn klassisch beginnt und vor allem das Alltagsleben einer Familie beschreibt, in der es durch die Arbeit des autoritären Vaters und auf Karriere bedachten Ehemanns immer wieder zu Spannungen kommt. Entsprechend diktatorisch und unterschwellig gewalttätig empfindet Bruno sein Elternhaus.
Im Gegensatz dazu steht im zweiten Teil Brunos Freundschaft zu Schmuel, die sich am Zaun des grauenhaften Lagers auf sehr behutsame und feinfühlige Art entfaltet und die bei beiden dadurch bestimmt wird, mehr von dem Leben des anderen vor und hinter dem Zaun zu erfahren. Da weder Schmuel noch Bruno wissen, warum es das Lager gibt und was sich hier wirklich abspielt, erahnt der Leser schon beizeiten die Tragik dieser Freundschaft, und wird vom tatsächlichen Ende noch mehr überrascht. Tief erschüttert fragt er sich, warum so etwas geschehen konnte. Dem Autor gelingt es, wahre Empfindungen zu wecken, die zum Nachdenken anregen.
Seinem Kunstgriff treu bleibend verwendet John Boyne keine direkten geographischen und zeitgeschichtlichen Termini bzw. Eigennamen und setzt voraus, dass der Leser diese mit den wahren Personen bzw. Orten in Verbindung bringt. Selbst die von Bruno falsch ausgesprochenen Bezeichnungen "Aus-Wisch" und "Furor" sind unschwer zu erkennen.
Dem Autor wird gelegentlich vorgeworfen, dass die Erzählweise aus der unwissenden kindlichen Perspektive heraus die grauenhaften Geschehnisse in der Zeit des Holocausts verniedliche. Dem muss entgegen gehalten werden: Feinfühligkeit ist nicht gleich Rührseligkeit! Das Buch ist kein dokumentarisches Zeitzeugnis, kein Bericht über das Leben im Konzentrationslager. Der Autor projiziert den Gegenstand mit künstlerischen Mitteln in eine fiktive Welt, die - trotz einiger Detailuntreue - in ihrer Gesamtheit vor allem jugendlichen Lesern Zeitgeschichte nahe bringt und das wahre Ausmaß des Grauens erlebbar macht, ohne mit erhobenen Zeigefinger moralisieren zu müssen.
Ein Buch von solch schrecklichem Wahnsinn, dass dem Leser die Stimme versagt!



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Diese Rezension wurde verfasst von gsh.
Veröffentlicht am 01.01.2010

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