Der Araber von morgen. Eine Kindheit im Nahen Osten. Band 2

Autor*in
Sattouf, Riad
ISBN
978-3-8135-0724-9
Übersetzer*in
Platthaus, Andreas
Ori. Sprache
Französisch
Illustrator*in
Seitenanzahl
158
Verlag
Knaus
Gattung
ComicTaschenbuch
Ort
München
Jahr
2016
Lesealter
16-17 Jahreab 18 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Fachliteratur
Preis
19,99 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Teaser

»Die wahre Geschichte eines blonden Jungen und seiner Kindheit im Syrien unter Hafiz al-Assad.« (Wachzettel)

Beurteilungstext

Dieser Comic wird seine Leser vermutlich in zwei Lager spalten: Diejenigen, die – auch oder gerade für Comics – auf ein Mindestmaß an politischer Korrektheit pochen, und diejenigen, die solche Korrektheiten eher skeptisch beäugen. Die ersteren werden der Graphic Memior des syrisch-französischen Comickünstlers und Filmregisseurs kaum etwas abgewinnen können, die letzteren werden ihn dagegen lieben. Riad Sattouf, der viele Jahre für das Satiremagazin Charlie Hebdo arbeitete, orientiert sich hinsichtlich seines Zeichenstils stark an der Karikatur. Seine Figurendarstellung wirkt daher stark überzeichnend, stereotyp und klischeehaft. Seine Erzählung setzt statt auf Erweiterung eher auf Reduktion der sozialen Komplexität. So scheint es zumindest. Doch Sattouffs Comic öffnet uns auch ein Tor zu einer anderen Welt, nämlich die der Gesellschaft(en) des arabischen Maghrebs und des Nahen Ostens, über die wir nur sehr wenig wissen, aber meist glauben, uns eine fundierte Meinung darüber erlauben zu können.
Der Autor des Comics hat jedenfalls einen großen Teil seiner Kindheit im Nahen Osten und im Maghreb (Syrien und Libyen) verbracht, und aus der Sicht des Kindes, das er damals war, werden seine Erlebnisse und Eindrücke geschildert. Dabei nimmt er kein Blatt vor den Mund und es wird auch nichts weichgezeichnet. Thematisiert werden die brutalen Züchtigungsmethoden an den öffentlichen Schulen Syriens, Ehrenmorde an ›unzüchtigen‹ Frauen, dumpfer Antisemitismus und Antiamerikanismus als vorherrschende Staatsideologie und ein grundsätzlicher Mangel an allem, was das Leben angenehm und einfach machen könnte.
Bei aller kritischer Distanz zu den Lebensgewohnheiten und Einstellungen der Menschen seiner alten Heimat scheint es nicht die Absicht seiner Erzählung zu sein, den sozialen Raum einfach zwischen orientalen Barbaren und okzidentalen Zivilisierten zu teilen. So wirken etwa die französischen Großeltern Riads nicht sympathischer/unsympathischer als seine Verwandten in Syrien. Die Tante seines syrischen Vaters pflegt sogar ein vergleichsweise modernes und emanzipiertes Frauenbild. Daran ändert auch die Tatsache, dass sie permanent einen Hidschab trägt, nichts. Im Grunde zielt denn auch die zeichnerische Typisierung der Figuren, die Sattouf mit seinem reduzierten Zeichenstil so meisterhaft gelingt wie etwa dem PEANUTS-Erfinder Charles M. Schulz, nicht (einzig) auf soziale Klischees ab, sondern auf die Hervorhebung/Übertreibung der individuellen Charakterzüge seiner Haupt- und Neben›darsteller‹. So gesehen, sind sich alle gleichermaßen fremd wie ähnlich.
Auch wenn es Sattouf mit seinem DER ARABER VON MORGEN vielleicht mehr um die gepflegte künstlerische Grenzüberschreitung (der Political Correctness) und um das Ausspielen des parodistischen Potentials der Comicliteratur geht, drängt sich doch eine politische Botschaft auf: Europäer und Araber sind weder alle gleich (universalistische Haltung), noch sind sie fundamental unterschiedlich (partikularistische Haltung), sondern sie sind sich auf gleiche Weise vollkommen fremd. Eine wirkliche Verständigung scheint auf dieser Grundlage derzeit kaum machbar, aber möglicherweise sind es ja der Araber und der Europäer von morgen, die diese Grenze überschreiten können. Doch dafür benötigt es eine (neue) politische Bildung, die uns nicht einfach vom Segen westlicher Demokratien und vom Fluch arabischer Despotien erzählt, sondern das scheinbar unüberwindlich Fremde in diesem wechselseitigen Blickverhältnis thematisiert und aufzulösen versucht. Der Araber von morgen scheint diesbezüglich ein hervorragender Anfang zu sein. Das wäre ein hehrer, aber auch sehr herausfordernder Anspruch. Daher ist das Buch eher für ältere Jugendliche, am besten in pädagogisch-didaktischer Begleitung, zu empfehlen.

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Diese Rezension wurde verfasst von mz.
Veröffentlicht am 01.07.2016

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