Das Überleben der Spezies: Eine kritische, aber nicht ganz hoffnungslose Betrachtung des Kapitalismus

Autor*in
Jorion, Paul
ISBN
978-3-7704-5509-6
Übersetzer*in
Le Comte, Marcel
Ori. Sprache
Französisch
Illustrator*in
Maklès, Grégory
Seitenanzahl
120
Verlag
Egmont
Gattung
Comic
Ort
Köln
Jahr
2014
Lesealter
14-15 Jahre16-17 Jahreab 18 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Preis
24,99 €
Bewertung
empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

In dem als Graphic Novel angekündigtem (Sach-?)Comic ""Das Überleben der Spezies"" gehen der Sozial- und Politikwissenschaftler Paul Jorion und der Zeichner Grégory Maklès kritisch mit dem modernen Finanzkapitalismus ins Gericht. Anders als der Titel vermuten lässt, geht es darin weniger um eine historisch-ökonomische Erörterung des kapitalistischen Wirtschaftssystems – als vielmehr um eine perspektivische Analyse der sozialen und politischen Machtstrukturen.

Beurteilungstext

„Genug, es reicht. Es liegt nicht an Ihnen! Es liegt an der Welt!“ Einer der Protagonisten in Jorions & Maklès Wirtschafts-Comic wird gleich zu Beginn mit dieser Einsicht konfrontiert. Und zwar durch keinen geringeren als Sigmund Freud – der angesichts der Ungerechtigkeit und Perfidität des kapitalistischen Wirtschaftssystems an die Grenzen seiner Psychoanalyse stößt. Ihm gegenüber sitzt der Archetyp des Arbeitnehmers – repräsentiert durch ein kleines gelbes Lego-Männchen. Dieses klagt dem großen Analytiker sein Leid, seine Depression, seine Sinnlosigkeitserfahrung. Doch anstatt, wie es klassischerweise zu erwarten gewesen wäre, über die Umwege des ödipalen Konflikts, des Muttermangels und der analen Fixierung die eigene Schuld an diesem Zustand aufzudecken, gesteht Freud ein: „Es liegt an der Welt!“ Der Untertitel des Comics „Eine kritische, aber nicht ganz hoffnungslose Betrachtung des Kapitalismus"" verweist auf die hier angesprochene Schuld der Welt: Es ist ihr Wirtschaftssystem, der Kapitalismus.

In der Folge werden durch offensichtliche, modern-archetypische Übertreibungen – die typisch für die stilisierte Sprache dieses Comics sind – die Machtverhältnisse des Kapitalismus analysiert und didaktisch aufbereitet. Die Autoren bedienen sich dabei beim popkulturellen Gedächtnis: Das Heer der Werktätigen wird durch kantige, fordistisch-gleichförmige Lego-Männchen repräsentiert, der Kapitalist wird, als Wiedergänger des Monopoly-Maskottchens im schicken Frack mit Zylinder gezeichnet, die Arbeitgeber und Lobbyisten als militante Putschisten. Als pädagogisches Vehikel dienst der Sohn des Monopoly-Magnaten, der offensichtlich noch nicht gecheckt hat, wie es läuft im modernen Finanzkapitalismus – und dieser erst erklärt werden muss.

Seine Geschichte und Mechanismen sind schnell, auf wenigen Seiten erzählt. Erste Erkenntnis: In der Modernen Zivilisation hat „Kapital“ die vorgeschichtliche „Gewalt“ ersetzt. Zweite Erkenntnis: Mit Gewalt respektive Kapital werden ""die 99 Prozent unserer Spezies"" gezwungen „Überschüsse“ zu erarbeiten, die schließlich – dritte Erkenntnis – ""im großen Spiel der Verteilung"" zu den Kapitalisten zurückfließen und der Kreislauf von vorne beginnen lassen. Nur (historisch betrachtet) immer eine Stufe perfider: Die aktuelle Krönung der jüngsten Wirtschaftsgeschichte ist die Erfindung der sogenannten ""Stock Options"", der Entlohnung des Managements durch Aktienoptionen. Das Management wird seitdem nicht mehr konstant entlohnt, sondern anteilig am Gewinn beteiligt. Seit diesem Zeitpunkt profitieren Kapitalisten und Arbeitgeber von sinkenden Löhnen - und einer immer größeren Ungleichverteilung der Überschüsse. Als Lösung für diesen – man verzeihe mir das schlechte Wortspiel – sich immer mehr „zuspitzenden Teufelskreis“ deuten die Autoren allein die Maxime Marx' an: Revolution.

""Das Überleben der Spezies"" ist kein einfach zu bewertender Comic. Auf der einen Seite ist es ein parteiisches Plädoyer gegen den modernen Finanzkapitalismus. Denn das Buch erfüllt nur in wenigen Sequenzen die Ansprüche an einen klassischen Sachcomic. Es ist vielmehr eine Art linksliberaler Kommentar, vielleicht sogar ein politisch-satirisches Pamphlet, durch und durch tendenziös, durch und durch unsachlich. Jorion erklärt nicht, differenziert nicht, analysiert nicht. Er spitzt zu und parodiert. Und das durchaus treffend für jemanden, der die nötigen Vorkenntnisse hat – v.a. in Bezug auf zahlreichen kleinen, feinen Anspielungen und den bisweilen skurrilen Humor. Und manchmal kommt dieser auch mit dem Holzhammer daher – und liegt aus wissenschaftlicher Sicht gründlich daneben. Auf der anderen Seite: Diese satirische Übertreibung ist die Sprache des klassischen Comics. Er ist genau das Medium wo Unsachlichkeit, Satire, Boshaftigkeit und tendenziöse Stilisierung erlaubt ist. Auch wenn Maklés 3-D-Anime Stil aus ästhetischer Sicht nicht jedermanns Sache sein dürfte – der Comic wird sicher seine Leser finden. Auf jeden Fall bei den TAZ-Abonnenten, möchte man fast hinzufügen. Obwohl die kapitalistischen 24,99€, die er kostet, für diese fast zu viel sein dürften.

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Diese Rezension wurde verfasst von OWA.
Veröffentlicht am 01.04.2015