Das schöne Leben und der schnelle Tod

Autor*in
Wildenhain, Michael
ISBN
978-3-7373-5621-3
Übersetzer*in
Ori. Sprache
Illustrator*in
Seitenanzahl
239
Verlag
MeyersDuden
Gattung
Buch (gebunden)Erzählung/Roman
Ort
Frankfurt/Main
Jahr
2019
Lesealter
14-15 Jahre16-17 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Preis
15,00 €
Bewertung
eingeschränkt empfehlenswert

Teaser

Gabor findet sich plötzlich zwischen den rivalisierenden Cliquen um Mozart und Luzius wieder! Warum kleidet sich Luzius wie ein protypischer Vampir und wozu rezitiert Mozart unaufhörlich Verse? Und was hat das alles mit Deborah zu tun?

Beurteilungstext

„Mathematik, Apollonia, Mütter, Väter, die Schule und Herr Dr. Koppek. Jungen, die es bevorzugen, gelegentlich in Versen zu sprechen. Fee, Deborah, Videos. Nacktaufnahmen im Netz.“ (179f.) Diese mehr oder weniger klassischen Adoleszenz/Teenager-Themen beschäftigen Gabor und seine Klassenkameraden in Michael Wildenhains neuem Jugendroman „Das schöne Leben und der schnelle Tod“ immens. Während der eine Antagonist, Mozart, mit seinem Gefolge darauf mit Erpressung, Entführung und Quälen von Menschen und Tieren reagiert, läuft schließlich der andere Antagonist, Luzius, zu Schuljahresende in der Aula Amok.

Der Hauptprotagonist des Romans, Gabor, ist mal wieder mit seiner Mutter in eine neue Stadt gezogen. Gabor lernen wir zunächst als zockenden Computernerd kennen, der sich in Situationen häufig fragt, was der starke HULK oder sein Avatar DEUS mit seinen magischen Waffen an seiner Statt tun würde. Gabor begegnet auf einem Waldspaziergang seinen neuen baldigen Klassenkameraden und beobachtet unter ihnen eine Schlägerei, die an der Beschreibung der Gewalt nicht spart. Die Heftigkeit und Gier nach einer Demütigung des Anderen lässt den Leser stutzen.

Wie gut, dass Gabor, der sich plötzlich in dieser Cliquen-Gegenspieler-Konstellation zwischen Mozart und Luzius wiederfindet, den eskalierenden Konflikt der beiden vermeintlichen Feinde und der Halbschwester und/oder Geliebten Deborah schrittweise erklärt bekommt und damit uns Leser mitnimmt. Gabor wundert sich zu Beginn vor allem – und wir als Leser mit ihm – um die Erscheinung und Inszenierung von Mozart und Luzius: Mozart rezitiert unaufhörlich Verse und Luzius kleidet und schminkt sich wie ein prototypischer Vampir und umgibt sich mit seiner „elfengleichen“ Klassenkameradin Fee. Als eine Art Normalitätsanker dabei dient Gabor, an dessen Gedanken und Handeln der allwissende Erzähler uns als Leser nah heranlässt. Dadurch schafft es Wildenhain, mich – was die Figur Gabor betrifft – als Leser mitzunehmen.

Von der eigentlichen Handlung lenken die doch sehr bedeutungsgeladenen sprechenden Namen der Figuren zeitweise etwas ab: „Mozart“ (= Genie und früh gestorben, Hang zu den schönen Künsten), „Luzius“ (= der Helle, der Erleuchtete, wobei Vampire bekanntermaßen das Licht eher meiden), „Fee“ (= die Glückbringende) und „Gabor“ (= der Erzengel Gabriel). Der plötzlich abflauende Handlungsfortgang nach den zwei sich zuspitzenden Spannungshöhepunkten nimmt der Geschichte ihren Reiz und konterkariert geradezu die zuvor aufgebauten Spannungshöhepunkte. Nachdem Deborah nach ihrer unmissverständlichen Aufforderung an Luzius „Kill ihn doch, du Versager!“ die Showdown-Situation zwischen Luzius und Mozart inklusive jeweiligem Gefolge einfach verlässt, geht auch Luzius einfach weg und Mozart bleibt stumm. Nach dem Amoklauf von Luzius, bei dem Mozart getötet sowie andere Menschen verletzt werden – der schnelle Tod –, verfallen Gabor und sein Klassenkamerad noch in der Schule in heitere Normalität, verabreden sich zu einer Skatrunde – das schöne Leben – und das Friede-Freude-Eierkuchen-Ende zwischen Gabor und Fee kommt in Anbetracht der vorangegangenen Ereignisse viel zu plötzlich.

Scheinbare Wurzel allen Übels der gewaltvollen und quälenden Streitereien zwischen Luzius und Mozart ist ein aufgenommenes Sex-Video von Luzius und seiner Halbschwester Deborah, welches sich unglücklicherweise in Mozarts Besitz befindet. Gabor erschließt sich in der zunächst als klassisch erscheinende Teenagerbandengeschichte den eigentlichen Grund der Auseinandersetzung zwischen Luzius und Gabor: „,Uralt war dein Verlangen/ Uralt Sonne und Nacht/ Alles: Träume und Bangen/ In die Irre gedacht.’“ Gabor weiß nicht, warum ihm die Verse einfallen. Er meint jedoch allmählich zu begreifen, was Luzius und Mozart für ein Paar gewesen sind. „Kein Mädchen hatte dort eine Chance haben können.“ Der eigentliche Kern der Zwietracht sind laut Gabors Erkenntnis, die durch den allwissenden Erzähler immer wieder bekräftigt wird, Mozarts enttäuschte Liebe und seine verletzten Gefühle für Luzius. Dieser Kern des Konflikts bietet durchaus Potential für die Plotentwicklung der Geschichte, aber wie und wieso Gabor zu dieser Einsicht gelangt, wird leider wenig herausgearbeitet – die Nachvollziehbarkeit der Perspektiven der Figuren und die Handlungslogik nimmt den Leser manchmal zu wenig mit.

Neben der außergewöhnlichen Konturierung der Figuren fällt vor allem die sprachliche Form des Jugendromans auf. Neben den als bedeutungsschwanger präsentierten Versen, die aufgrund Mozarts Eigenart viel rezitiert werden, greift der Roman häufig auf klassische Bildung voraussetzende Referenzen sowie einen bildungssprachlichen Duktus zurück, der in der Wortwahl vor allem zum Erzählstil, mit dem wir zwar nah an Gabor dran sind, und zur Handlungsentwicklung nicht ganz passen mag und zu pathetisch wirkt*:

„Noch während der kajalumflorte Anführer damit beschäftigt ist, ein überlegenes Feixen auf sein Gesicht zu malen, lenkt der Staubmantel die eisenbewehrte Dame mit einer Bewegung der rechten Hand ab, greift mit der linken nach dem Knüppel, zerrt sie zu sich heran und stößt ihr mit der Stirn die Armierung tiefer ins aufspringende Fleisch – Blut auf beiden Seiten.“ (22)

Aufgrund der Thematik um das Sex-Video und der manchmal recht plastisch erzählten gewaltvollen Szenen könnte man die Altersempfehlung des Jugendromans für „ab 14 Jahren“ diskutieren und über eine Erhöhung für ab 16 Jahren nachdenken.

Insgesamt gelingt es Michael Wildenhain das mehr oder weniger „schöne Leben“ wie auch „den schnellen Tod“ der Figuren durchaus auf unterhaltsame Weise darzustellen, wenn auch die Figuren etwas unnahbar bleiben und sich die Handlungslogik nicht immer erschließt. Die Handlung fußt zwar theoretisch auf einer interessanten Basis, aus der sich der Konflikt entwickelt hat, verrennt sich phasenweise aber in ihrer Inszenierung, sodass mich der Roman mit dem Eindruck stellenweise fesselnd aber auch manchmal verwirrend zurücklässt.


* Wem der gewählte Sprachduktus dieser Rezension schon nicht leichtfällt bzw. weniger gefällt, der sollte das Buch vielleicht nicht lesen.

Für namentlich oder mit Namenskürzel gekennzeichnete Beiträge und Beurteilungen liegt die presserechtliche Verantwortung beim jeweiligen Autor bzw. bei der jeweiligen Autorin.

Diese Rezension wurde verfasst von gre; Landesstelle: Hamburg.
Veröffentlicht am 02.01.2020

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