Das Mädchen Lu Si-Yan

Autor*in
Grindley, Sally
ISBN
978-3-8270-5056-4
Übersetzer*in
Koskull, Verena
Ori. Sprache
Englisch
Illustrator*in
Seitenanzahl
206
Verlag
bloomsburyBerlin Verlag
Gattung
Ort
Berlin
Jahr
2006
Lesealter
12-13 Jahreab 18 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Fachliteratur
Preis
14,90 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Lu Si-Yans glückliche Kindheit endet mit dem Tod des Vaters. Um sich zu entlasten, verkauft Vaters Bruder das 11-jährige Mädchen an einen wohlhabenden Mann als Hausangestellte und spätere Frau für seinen Sohn. Lu Si-Yan wird wie eine Sklavin ausgenutzt. Nur die alte Schwiegermutter ist freundlich und verhilft ihr zur Flucht. Diese endet in einer Fabrik als Arbeitin, bis sie nach einem Zusammenbruch im Krankenhaus landet. Von dort holt der Onkel sie nach Hause.

Beurteilungstext

Die englische Autorin ist bisher vor allem durch Bilderbücher und Bearbeitung von Goethe und Äsop für Kinder aufgefallen. Wie sie auf ihrer Homepage schreibt, wurde sie durch einen zeitungsartikel auf die Idee für dieses Jugendbuch aus dem modernen China gebracht.
In diesem Buch gelingt es ihr durch die Ich-Perspektive und eine bildhafte, dialogreiche Sprache eine ungemein spannende und melodramatische Geschichte zu erzählen, die den Leser/ die Leserin vom ersten Satz an erfasst und nicht loslässt., was auch ein Verdienst der Übersetzerin verna Koskull ist. In 28 kurzen Kapiteln entwickelt sich das Drama des Mädchens Lu Si-Yan im modernen China. Die Spannungen des Landes im Umbruch werden in der Spiegelung ihrer Geschichte immer wieder deutlich.
Da ist zunächst die Familiensituation. Der ältere Bruder, der Onkel, will immer wieder seinen jüngeren Bruder überreden, wie er einen Arbeitsplatz in einer Fabrik zu suchen, damit er es mit seiner vierköpfigen Familie leichter habe. Aber der Vater hängt an seinem Leben als Bauer und die Familie ist glücklich so wie sie lebt. Das ändert sich schlagartig mit dem Tod des Vaters, dem Krankheiten, Dürre, ein einstürzendes Dach und eine kaputte Rikscha folgen. Das alles überfordert die Mutter, die jetzt immer wieder auf Hilfe des Onkels angewiesen ist und schließlich seine Entscheidung hinnimmt, dass die Tochter weggegeben wird. Denn ein Sohn ist wichtiger, er trägt den Namen der Familie.
Der Verkauf der Elfjährigen erinnert stark an Szenen aus Onkel Tom. da werden junge Mädchen feilgeboten, begrabscht, begutachtet, geschlagen, wechseln den Besitzer gegen Geld.
Lu Si-Yan erfährt vor dem Betreten der Hochhauswohnung, dass sie für die Frau des Hauses arbeiten und später den Sohn heiraten soll. Zwar wird sie neu eingekleidet, bekommt ein eigenes Bett und gutes Essen, aber Frau Chen nutzt ihre Arbeitskraft scham- und grenzenlos aus, ohne dass das Kind es ihr jemals recht machen könnte. Sie hat alle anfallenden Arbeiten im Haus zu erledigen, vom Kochen bis zum Kloputzen, Ausgang gibt es nicht, ihre Abhängigkeit wirkt total.
Herr Chen bleibt unnahbar, und der Sohn entpuppt sich als geistig behinderter junger Mann.
Hilfe bekommt Lu Si-Yan nur von dem jungen Koch, der für seinen offenen Protest von Frau Chen gefeuert wird, und später von der an den Rollstuhl gebundenen Schwiegermutter, die ihr zur Flucht aus dem Haus verhilft und ihre Mutter benachrichtigt. Diese Flucht führt sie in ein ganz anderes China, als sie es aus ihrem Dorf und der exklusiven Hochhauswohnung der Chens kennt. Sie gerät in die abbruchreife altstadt, die Müllhalden, unter Penner und Räuber.
In einer Spielzeugfabrik lernt sie , wie das Besitzerehepaar alle frühkapitalistischen Ausbeutungstricks anwendet, die wir aus Literatur über das frühe 19. Jahrhundert kennen: bei schlechter Kost und Massenquartier gibt es Lohnabzug wegen jeder Kleinigkeit, sodass für die Mädchen am Ende der Woche oft nur ein bisschen übrig bleibt, um den freien Sonntag nach dem Putzen und Waschen in einer billigen Einkaufsstraße genießen zu können. Der Zusammenhalt und die gegenseitige Hilfe der jungen Mädchen, die alle mindestens fünf Jahre älter sind als Lu Si-Yan, helfen ihr die schlimmsten Anfangsschwierigkeiten zu überstehen. Überstunden sind Pflicht, sodass Arbeitstage von mehr als 14 Stunden und mehr die Regel sind. Auch die Arbeitsaufgaben, das Zusammennähen von Teddys im Akkord, später die Aufgabe als Läuferin zwischen verschiedenen Maschinen in einem heißen, von Abgasen und Schweiß gefüllten Raum, führen nach einigen Wochen zu Lu Si-Yans Zusammenbruch.
Die Autorin fügt einen versöhnlichen Schluss an - ein Zugeständnis an das Medium Jugendbuch? Zwar erfährt Lu Si-Yan, dass auch ihre Mutter gestorben ist, aber der Onkel ist geläutert und holt sie zurück nach Hause.
Leider macht der Verlag keinerlei Angaben über die Autorin, so dass für europäische Leser/-innen schwer zu entscheiden ist, wie weit sich die Autorin mit den Schilderungen dieses Buchs an Fakten hält. Das Umschlagbild täuscht eine andere Zeit vor, denn es zeigt eine chinesische Frau des vorletzten Jahrhunderts, aber kein Mädchen mit Bubikopf in Hausangestelltenuniform oder im Kittel der Fabrikarbeiterin.
Dieses Buch empfehle ich gerade ein Jahr vor der Olympiade in Beijing.

Für namentlich oder mit Namenskürzel gekennzeichnete Beiträge und Beurteilungen liegt die presserechtliche Verantwortung beim jeweiligen Autor bzw. bei der jeweiligen Autorin.

Diese Rezension wurde verfasst von uwo.
Veröffentlicht am 01.01.2010

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