Das Haus der Spione

Autor*in
Vosseler, Nicole C.
ISBN
978-3-401-06066-8
Übersetzer*in
Ori. Sprache
Illustrator*in
Seitenanzahl
428
Verlag
Arena
Gattung
Ort
Würzburg
Jahr
2007
Lesealter
12-13 Jahre14-15 Jahre16-17 Jahreab 18 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Preis
16,95 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Unter Elisabeth I. wurde der erste wirkliche Geheimdienst aufgebaut. Der 13-jährige Nicholas wird angeheuert und zusammen mit seiner Freundin trägt er wesentlich dazu bei, den Putschversuch Maria Stuarts und ihrer katholischen Anhänger aufzudecken und so zu verhindern. In der flüssig erzählten und spannenden Geschichte aus dem 16. Jahrhundert erfährt der Leser vieles über das Leben im London des Jahres 1582 und über das Drama um die beiden Königinnen.

Beurteilungstext

Furios geht es zu in diesem Roman, immer ist alles in Bewegung und der Leser staunt über den Aufstieg eines kleinen Waisenjungen, der eine für damalige Begriffe exzellente Erziehung genossen hat, in die Höhen der Ministerhaushalte. Bekannte historische Figuren (Elisabeth I. & Maria Stuart, Giordano Bruno, Christopher Marlowe etc.) und weniger bekannte, aber verbürgte Namen werden aufgeboten, schließlich geht es ja um den Kampf um die englische Krone. Ein London ist Schauplatz, von dem heute nur noch wenig zu sehen ist, ein Leben in der schon damals recht großen und bedeutenden Stadt. Die Autorin erzählt so detailgenau, dass sich die Mühsal des mittelalterlichen Lebens nahezu riechen und fühlen lässt.
So bekommt der junge Leser einen Einblick in die Zeit unmittelbar vor Shakespeares Wirken, lernt den Teil der Geschichte um die beiden Königinnen, der in den Theatern bis heute wichtig ist und das alles in eine spannende Geschichte verpackt, die vergessen lässt, einen dicken Wälzer in der Hand zu haben.
Die durchweg lebendigen Charaktere sind im Handeln und Denken schlüssig und extrem gegensätzlich, was zur Folge hat, dass die Entwicklung der vielen Erzählstränge eine eigene Spannung erzeugt.
Die naive, sich nur mühsam entwickelnde und erst nach Abschluss des Romans wirklich in Gang kommende Liebesgeschichte zwischen dem jungen Paar ist ein nettes Aperçus, die Geschichte der jungen Zigeunerin (wie sie hier historisch genau, aber aus heutigem Verständnis völlig unkorrekt genannt wird) Leonora ist alleine viel spannender: ein blitzgescheites, unabhängig denkendes und initiatives Mädchen, das die ideale Ergänzung zum hellen, aber nicht immer ganz schnellen Jungen ist. Er gerät manches Mal auf seiner gefährlichen Reise in die Geheimnisse der Diplomaten und des Klerus in Gefahr, als es aber zum Eklat zu kommen droht, rettet sie ihn und danach er sie - keiner kann ohne den anderen sich aus der Klemme bringen. Amüsant wird das bei der meisterhaft erzählten Auseinandersetzung um Geheimsprache und -schriften, in der beide gemeinsam rätselhafte Codierungen entschlüsseln und so durch diese Geschichte dem Leser erklärt wird, dass vielleicht viele der unverständlich formulierten mittelalterlichen Texte gar keine Himmel- & Höllenberichte sind, sondern Verklausulierungen, die ausschließlich von den Adressaten verstanden werden sollten. Und es bedarf schon genauen Nachdenkens zu erkennen, was dahinter stecken kann.
Neu war mir, dass James Bonds 007 offensichtlich aus der Marlowe-Geschichte entnommen wurde.

Die beiden, hier immer als Kinder bezeichneten 13-, später 14-Jährigen, haben das Glück, immer väterlich-wohlgesonnene Freunde und deren entsprechende Ehefrauen zu finden. Wer Dickens gelesen hat, weiß, dass das nicht unbedingt üblich war. Aber die Intrigen und Feindschaften bis zum Hass - auch dieses glaubhaft beschrieben - beschränken sich auf die politischen (das heißt hier immer auch: religiösen) Feindschaften. Die sich der Königin Elisabeth verpflichtet Fühlenden sind einander überwiegend wohlgesonnen. Das aber erleichtert das Verständnis der verwobenen Handlung erheblich.
Also handelt es sich hier um einen Roman, der spannend und lehrreich zugleich ist, für alle Leseratten ab 12 Jahren geeignet.

Dennoch möchte ich einen Mangel anmerken, der das grundsätzliche Dilemma historischer Romane, besonders der Jugendromane darstellt: Die Helden der Geschichte sind keine Figuren des Mittelalters, sondern der Neuzeit: sie handeln und denken autonom, sind selbstständig und selbstbewusst. Sie kennen zwar die gesellschaftlichen Schranken, setzen sich aber leichtfüßig darüber hinweg. Historisch gedacht ist das aber nicht. Die Zwänge waren zu groß, ebenso die Schranken, die Gesetze, die Moral allmächtig. Wer sich anders als alle verhielt, war grundsätzlich verdächtig. Zigeuner spielten eine außerhalb der Gesellschaft stehende Rolle, Mädchen erst recht. Und ein Zigeunermädchen hätte kaum die Möglichkeiten gehabt, die Leonore ganz selbstverständlich ergriff. Wie überhaupt die Kinder sich Freiheiten nahmen, die nahezu undenkbar waren. Nur am Rande wird erwähnt, dass Schauspiel nur von Männern ausgeübt werden durfte, auch die Frauenrollen. Dass das aber Ursachen in dem gesellschaftlichen Verständnis der Frau hat, wird hier nicht reflektiert.
Und noch ein Aperçus: Mehrfach ist von dem Genuss von Zucker und Marzipan die Rede. Beides war zwar schon etwa 300 Jahre im Land, aber ein solcher Luxus, dass ein Waisenknabe und ein kleines Zigeunermädchen wohl kaum dazu gekommen sein konnten, ihn zu genießen. Daher ist es zwar verständlich, dass die beiden derart Süßes goutierten, nicht aber, dass das fast selbstverständlich ist, etwas sogar als zu süß empfinden wird. Das ist absolut unserem heutigen Geschmack verpflichtet. Und gab es damals schon grüne Bohnen in England? Ich bin mir da nicht so sicher. Mindestens für die jungen Leser von heute wäre ein Hinweis auf derlei Besonderheit angebracht.
Mehrfach findet sich Nicholas inmitten ungeheurer Buchmassen wieder; in der Umgebung der Gelehrten und Schriftsteller sicherlich nichts Ungewöhnliches. Dass aber Bücher vor fast 450 Jahren einen ganz anderen Wert darstellten als heute, sowohl inhaltlich als auch rein materiell, wird nicht angemerkt. Auch Nicholas wundert sich so wenig wie Leonore darüber, beide können lesen und sind in mehreren Sprachen zu Hause. Das ist eine seltene Kombination, selbst für unsere Zeit.
Und wenige kleine sprachliche Missgriffe hätten dem Lektor auffallen müssen: Für einen Englischsprachigen ist es zwar verständlich, dass er meint, seine Zunge beim Erlernen von fremden Sprachen verknoten zu müssen (Russisch! Deutsch!), aber ausgerechnet bei der französischen Sprache erscheint mir das als unangebrachte Formulierung.

Aber derlei Kriterien tun der Empfehlung zur Lektüre keinen Abbruch.

Für namentlich oder mit Namenskürzel gekennzeichnete Beiträge und Beurteilungen liegt die presserechtliche Verantwortung beim jeweiligen Autor bzw. bei der jeweiligen Autorin.

Diese Rezension wurde verfasst von cjh.
Veröffentlicht am 01.01.2010

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