Bo

Autor*in
Merkel, Rainer
ISBN
978-3-10-048444-4
Übersetzer*in
Ori. Sprache
Illustrator*in
Seitenanzahl
685
Verlag
S. FISCHER
Gattung
Ort
Frankfurt
Jahr
2013
Lesealter
14-15 Jahreab 18 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Bücherei
Preis
22,99 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Benjamin fliegt für drei Wochen nach Monrovia, Liberia. Völlig unorganisiert beginnt die Reise, in einem Chaos kommt er an, sein Vater ist nicht am Flughafen. Das große Abenteuer beginnt schon in Berlin und endet erst, nachdem er drei Tage lang auf sich alleine gestellt in Monrovia lebt. Schnell hat er Freunde, die so anders sind, wie er es sich nie vorstellen konnte.

Beurteilungstext

Der Lektor Oliver Vogel schreibt zu diesem abenteuerlichen Buch, dass es sich jeder Kategorisierung entziehe, es sei absolut hinreißend, so welthaltig wie traumwandlerisch, eigensinnig und unkontrollierbar. Das trifft absolut zu, auch unsere Jugendbuchkriterien greifen hier nicht so recht. Es bleibt aber, dass ein Sprachkünstler schreibt, der seine Gedankenwelt ebenso gut wie scheinbar nebenbei beschreibt wie die der Liberianer, denen der Leser begegnet. Sein 13-jähriger Held trotzt allen Gefahren und übersteht sie unbeschadet, nicht nur das: er lernt unentwegt. Benjamin verliert schon im Flugzeug seinen Pass in einer Tüte - ein anderes Gepäckstück hat seine Mutter nicht organisieren können. In Monrovia kann er den Flughafen nur verlassen, weil drei Personen das absolute Chaos verbreiten. Das reicht, um zwei Ganoven auf den Plan zu bringen, die wiederum nicht an ihr Ziel gelangen, weil das Chaos auch auf ihre Bemühungen übergreift. Am Ende lebt Benjamin bei Bo und seiner Familie, der gerade die Wohnung gekündigt wird. Bo ist das Gegenstück zu Benjamin. Wenn Benjamin deutsch-sachlich denkt und versucht zu handeln (was nie so ganz gelingt), träumt Bo, der blind ist, oder horcht oder hält komplizierte Reden, fasziniert seinen Freund durch seine völlig andere Gedankenwelt, immer am Rande der reinen Fantasiewelt. Der Autor erzählt die Handlung der drei Tage zwar chronologisch, die Gedanken seiner Protagonisten aber schlagen Volten um Volten in ihre Vergangenheit, rein assoziativ und eben so, wie einem beim Erleben und Sehen immer irgendwelche Gedanken durch den Kopf gehen, Gedankensplitter und Erlebnisse. Für den Leser setzt sich so ein Bild zusammen, das weit über die Ereignisse dieser drei Tage hinausgeht. Benjamins größere Volten reichen bis zu E, dem namenlos bleibenden Freundfeind aus der Schule, der ihn immer wieder quält, dem er sich hoffnungslos ausgeliefert fühlt (während ihn die afrikanischen Abenteuer offensichtlich kräftigen), von Bo erfahren wir von seiner Angst vor einer Augenoperation, von den Überlebensnöten und -schwierigkeiten seiner Familie, von seiner fast grenzenlosen Bewunderung des für ihn aus einer Fantasiewelt kommenden Benjamin. Selbst die Gedanken und Motive des Ganoven durchziehen immer wieder die Geschichte - wie alle handelnden Personen mit allen in kunstvoller Weise verbunden sind. Selbst die ominöse Flower, deren Existenz der Leser fast schon in die Fantasiewelt verschiebt, taucht innerhalb Bos Hemisphäre auf, nicht aber in der Benjamins. Europäische und afrikanische Hemisphären sind sehr unterschiedlich und haben nur wenige Berührungspunkte - und die sind oft auch nur temporär.
Benjamin sucht seinen Vater im Krankenhaus (und verfehlt ihn knapp), kommt aber gemeinsam mit Bo einer geheimnisvollen Flower auf die Spur und sie verfolgen jede Spur durch die kriegsversehrte Stadt. Mit von der Partie ist Brilliant, ein völlig verzogenes, ebenso reiches wie egozentrisches Gör (und erinnert an Paris Hilton mit 16), deren Exzentrik Benjamin schon im Flugzeug aufgestoßen ist. Die ungleichen Partner fahren mit einem befreundeten Taxifahrer auf der Suche nach Flower aufs Land - wieder Abenteuer über Abenteuer, finden sie nicht und kommen in einem dramatischen Finale wieder zurück. Es passiert also eigentlich nichts, alle überleben, alle leben weiter, alle lernen voneinander und doch verführt die Lektüre zu einem Lesemarathon über die ganzen fast 700 Seiten.
Und besser als jede Beschreibung von Land und Leuten lernt der Leser die Menschen in dem fernen Lande kennen, ihre Gedankenwelten, das für uns manchmal rätselhafte Handeln - wie Bo seinen Freunden am Gegenspieler Benjamin immer wieder erklärt: Der bringt sich immer in Schwierigkeiten, weil er sagt, was er denkt und tatsächlich auch noch tut, was er gesagt hat. Am Ende verschenkt Benjamin ein Geschenk, weil ihm danach ist, obwohl man das ja eigentlich nicht tut. Warum? Er weiß es selbst nicht. Er tut Dinge, von denen er nicht weiß, warum er es tut. Es passiert jetzt immer öfter.
Vor der Reise wäre das nicht passiert.
Und für wen ist es geschrieben? Für mich! Und ich hoffe, das können Viele sagen. In einem Punkt schon macht der Autor es dem Leser leicht: Konsequent beschreibt er die Welt seiner Protagonisten aus deren Horizont, altersgemäß, entwicklungsgemäß, ihrer persönlichen Geschichte entsprechend. Gleichzeitig macht er es dem Leser wieder schwer, indem er überganglos springt, von der einen Person und ihrer Binnensicht zur anderen und deren Sicht. Er fordert den jungen Leser heraus, wirklich mitzudenken - und das kann man ja nicht als Fehler betrachten. Lust am Lesen muss man allerdings schon haben und keine Scheu vor dicken Büchern. Dann aber wird der Leser reich belohnt. Auf der Auswahlliste zum LesePeter.cjh13.05

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Diese Rezension wurde verfasst von cjh.
Veröffentlicht am 01.01.2010

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