Blutsbrüder

Autor*in
Wildenhain, Michael
ISBN
978-3-473-35219-7
Übersetzer*in
Ori. Sprache
Illustrator*in
Seitenanzahl
256
Verlag
Ravensburger
Gattung
Ort
Ravensburg
Jahr
2011
Lesealter
12-13 Jahre14-15 Jahre16-17 Jahreab 18 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Preis
14,95 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Engagierte Jugendliche unterschiedlicher Herkunft kämpfen in Berlin gegen den Faschismus der anderen und müssen erkennen, dass es in den eigenen Reihen quälende, herzzerreißende Konflikte gibt. Niemand kommt eine Entscheidung und um die Verantwortung für das eigene Tun herum...

Beurteilungstext


Eine Gruppe jugendlicher Antifaschisten wird bei einer nächtlichen Plakataktion gegen Nazis im Osten Berlins von rechtsradikalen Jugendlichen erwartet, eingekreist und verfolgt. Nur der entschlossene, gewalttätige Einsatz zweier Jungen, Freunde von Kindheit an, bewahren die Gruppe vor schweren Misshandlungen.
Die nächtliche Atmosphäre ist -beängstigend genau beschrieben- bedrohlich und gefährlich für Leib und Leben. Sie zeigt eine Wirklichkeit, die uns von Berichten über ähnliche Hetzjagden rechter Jugendlicher gegen Ausländer bekannt sind und nach dem Bekanntwerden der Morde des Nationalsozialistischen Untergrunds nicht mehr verleugnet werden können. Die Antifa-Gruppe schafft es knapp, in ihr eigenes Viertel, in dem sie sich auskennt, zu entkommen.
So beginnt das Buch und trotz dieser erschrecklich wirklichkeitsnahen Bilder ist die Welt scheinbar noch in Ordnung: Dort im Osten der Stadt die Nazis und hier in Kreuzberg die multikulturelle Antifa-Gruppe: der Sohn eines arbeitslosen, alleinerziehenden deutschen Vaters, der Sohn einer alleinerziehenden deutschen Mutter mit türkischem Vater, ein Mädchen polnischer Herkunft und zwei Jungen und ein Mädchen mit bürgerlichem Hintergrund. Sie gehen alle auf dasselbe Gymnasium und haben sich über ihr antifaschistisches Engagement gefunden. So weit, so klar.
Doch dann schlägt in die geordnete Welt der Guten und der Bösen die Frage ein, die zur Zerbröselung der Gruppe und einer langwierigen, quälenden, selbstquälerischen Selbstfindung der Protagonisten führt:
"Na ja, ich meine ... wir kämpfen gegen Nazis. Aber die gibt's hier bei uns in Kreuzberg doch gar nicht. Die trauen sich überhaupt nicht hierher. Den Ärger, den machen bei uns ganz andere Arschlöcher. Habt ihr ja gesehen."
Das waren türkisch- und arabischstämmige Kinder und Jugendliche und in diesen Kontext, in diese Lebenszusammenhänge sind besonders die Protagonisten durch ihr gesamtes Leben, durch ihre Herkunft, durch ihre Freund- und Feindschaften verwoben. Die Analyse und die Antworten der Gruppenmitglieder, die bei den politischen Aktionen den Durchblick hatten und die Strategie bestimmten, lassen die Schwierigkeiten des Problems noch deutlich werden, sind aber wenig hilfreich bei der Lösung. (Wie auch die rassistischen Polemiken eines Sarrazin sich als völlig abwegig und unangemessen erweisen.) Das Leben ist einer abständigen Betrachtungsweise, wie sie die bürgerlichen Jugendlichen versuchen, nicht zugänglich.
Die Protagonisten sind Teil der Konflikte, haben unmittelbar Anteil an den Auswirkungen und Ausprägungen von Gewalt, Ehre und Respekt als Teil ihres familiären und nachbarschaftlichen Herkommens. Der Weg der beiden entwickelt sich immer spannend, oft dramatisch. Das Ziel, einen eigenen Weg zu finden, gegen die Anmaßungen der ihre Welt bestimmenden Gangs, droht ihre Freundschaft zu zerbrechen und ihr Wille , sich der Gewalt und den Zwängen der die Straße bestimmenden Gruppen zu widersetzen und den Schwächeren zu helfen, bringt sie in Lebensgefahr.
Wildenhain bietet dem Leser keinen Ausweg aus diesem Dilemma an. Das ist gut so; denn es gib keinen.
Das zeigt das ganze Buch sehr deutlich und dicht. Diejenigen, die Lösungen haben, die ziehen weg. Was bleibt, ist die sich bewährende Freundschaft der beiden Protagonisten, immer wieder in Frage gestellt und zerbrechlich. Die kann sich nicht erklären, sondern muss sich bewähren. Das wird in einer extremen Zuspitzung der Handlungsstränge bewegend, ja verstörend dargestellt.
Eine ernsthafte, ehrliche Geschichte, die die Schwierigkeiten jugendlicher Entwicklung nicht nur beschreibt, sondern erfahrbar werden lässt. Dass Wildenhains Charaktere ein hohes Identifikationspotenzial haben und die Empathie und Genauigkeit seiner Darstellung eine große Nähe zum Leser schafft, machen das Buch sehr empfehlenswert.

Lothar Redmann

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Diese Rezension wurde verfasst von Re.
Veröffentlicht am 01.01.2010

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