Black Box Dschihad

Autor*in
Schäuble, Martin
ISBN
978-3-446-23665-3
Übersetzer*in
Ori. Sprache
Illustrator*in
Seitenanzahl
218
Verlag
Hanser
Gattung
SachliteraturTaschenbuch
Ort
München/Wien
Jahr
2015
Lesealter
14-15 Jahre16-17 Jahreab 18 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Büchereididaktisches MaterialFachliteraturFreizeitlektüreKlassenlektüre
Preis
14,90 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Zwei Jugendliche - so unterschiedlich wie nur möglich - wählen scheinbar freiwillig den Weg zum "Gotteskrieger". Auf verschlungenen Pfaden folgt der Autor dem Lebensweg beider und muss am Ende feststellen: Auf die Frage "Warum haben sie diesen Weg eingeschlagen?" kann es nur individuelle Antworten geben. Antworten, die vielleicht doch Schicksale aufhellen und manches verstehen lassen.

Beurteilungstext

Im Jahr 2011 promovierte Martin Schäuble am Otto-Suhr-Institut der FU in Berlin mit der Dissertation "Dschihadisten - Feldforschung in den Milieus". Auf Grund dieser Dissertation entstand im gleichen Jahr sein Buch "Black Box Dschihad". Hier rekonstruiert er die Lebensläufe von zwei Jugendlichen: Daniel aus einer saarländischen Kleinstadt und Sa`ed, einem Jungen aus Nablus. Beide sind 1985 geboren, haben sich aber nie im Leben getroffen. Und dennoch haben beide das gleiche Ziel: Gotteskrieger, Märtyrer, zu werden.
Martin Schäuble hat für dieses Buch intensiv und sorgfältigst recherchiert: vor Ort im Saarland und vor Ort in Palästina und Israel.
Daniel wächst zunächst sehr behütet in einem gutsituierten Elternhaus auf, besucht Kindergarten und Grundschule. Mit Zehn treten erste Brüche in seinem Leben auf. Die Eltern trennen sich. In diesem Scheidungsprozess, der zugleich mit der beginnenden Pubertät zusammenfällt, zieht sich Daniel zurück, spielt zwar Basketball und lebt total in der Hip-Hop- und Gansta- Rap-Welt, trägt entsprechende Kleidung, kann sich aber schlecht in eine Großgruppe integrieren. Er interessiert sich zunehmend für Politik, hat ideologische Vorstellungen vom Leben, greift aber immer häufiger zu Drogen und ist gewaltbereit. Seine schulischen Leistungen werden schlechter, er bricht die Schule ab und will mit zwei Bekannten nach Brasilien an den Amazonas, um dort ein Aussteigerleben zu führen. Doch nach kurzer Zeit muss er abbrechen und kehrt mittellos nach Deutschland zurück, wo er auf Grund seines Drogenkonsums und seiner Gewaltdelikte zu Arrest und Sozialstunden verpflichtet wird. Seine Eltern sind kein Halt mehr für ihn. An deren Stelle tritt jetzt Hussein. Dieser weckt in Daniel in langen und intensiven Gesprächen das Interesse am Islam. Daniel konvertiert, lernt in Ägypten Arabisch, leistet den Wehrdienst ab und beschließt nach Pakistan in ein Ausbildungslager der Islamischen Dschihad Union zu gehen. Zurück in Deutschland soll er mit einem Freund einen terroristischen Überfall planen, der aber rechtzeitig aufgedeckt wird.
Parallel zu diesem sehr ausführlichen Recherchebericht erzählt Martin Schäuble von Sa´ed, dem Jungen aus Nablus. Sa´ed wächst in ärmlichen Verhältnissen mit sechs Geschwistern auf, bricht mit elf Jahren die Schule ab und arbeitet in verschiedenen Gelegenheitsberufen. In seiner Freizeit spielt er auf der Straße Fußball und entwickelt religiöses Interesse, obwohl seine Familie nicht sehr gläubig ist. Mit dem Ausbruch der Zweiten Intifada verliert er seinen Arbeitsplatz und das Haus seiner Eltern wird zerstört. Immer mehr sucht er Menschen in der Moschee, die ihm Halt geben könnten. Als auch zwei Freunde bei einem Anschlag getötet werden, denkt er immer mehr an Märtyrer und an das versprochene Paradies. Schließlich sucht er den Kontakt zu den Al-Aqsa-Brigaden. Er wird überzeugt als Märtyrer zu sterben, verfasst sein Testament, nimmt Abschied von seinen Verwandten und sprengt sich mit einigen ahnungslosen Passanten an einer Bushaltestelle in Jerusalem in die Luft.
Daniel wird zu zwölf Jahren Freiheitsstrafe verurteilt und Sa`ed wird als Märtyrer gefeiert.
Ganz bewusst hat Martin Schäuble dem Buch den Titel "Black Box Dschihad" gegeben. Eine Black Box ist ein in sich geschlossener Raum, der nichts nach außen dringen lässt. So weiß man über die wirklichen und ehrlichen Beweggründe der beiden Protagonisten ebenfalls nichts oder sehr wenig. Alles was in die Öffentlichkeit dringt, kann nur interpretiert werden. Während für Sa`ed die Spirale der Gewalt Alltag ist, muss sich Daniel erst umorientieren, gelerntes Sozialverhalten ablehnen und neue Denkmuster akzeptieren.
Der Begriff Dschihad ist im Westen eigentlich fast immer mit "Heiliger Krieg" verbunden. Dabei bedeutet dieses Wort eigentlich Anstrengung. Der Islam kennt den kleinen Dschihad (Krieg, Gewalt Verteidigung des Landes und der Religion) und den großen Dschihad. Damit ist die tägliche Anstrengung gemeint, seinen "inneren Schweinehund" zu besiegen und ein gottgefälliges Leben im Sinne des Islam zu führen.
Beide Jugendliche werden auf den Irrweg der Gewalt und des Hasses vorbereitet und sie akzeptieren diesen Weg.
Wichtig ist dabei das fiktive aber sehr gut nachvollziehbare Gespräch, das Hussein mit Daniel führt (S. 112 - S. 120). Dies bringt ihn letztendlich auf den Weg zum gewaltbereiten Islamisten.
Bei Sa`ed ist so ein Gespräch nicht notwendig. Er sieht täglich in den Straßen die Plakate der Märtyrer, die in bestimmten Kreisen als besonders heilig gelten. Doch sind die Seiten 165 bis 173 aufschlussreich und geben einen tiefen Blick in das Innere eines Märtyrers während seiner letzten Lebenstage frei.
Martin Schäubles Text bietet unterschiedliche Textsorten an: Da gibt es Berichte, Aussagen von Zeitzeugen, fiktive Gespräche, Hintergrundinfos zu Musik und vor allem zum Islam. Auf verschiedenen Ebenen muss man sich mit dem Gesamttext auseinandersetzen um zu einem facettenreichen Bild zu kommen. Ein Bild, ein Mosaik, das nicht vollständig ist und nicht vollständig sein kann. Die komplexe Struktur des Textes ermöglicht überhaupt nicht, dass man sich mit einem der beiden Protagonisten identifizieren könnte. Zu spröde, zu distanziert ist der Text, der kaum Nähe zulässt. Das ist gewollt und auch gut so. Somit hat man Abstand zu den beiden und das Thema "Dschihad" kann stärker in den Vordergrund treten. Zusätzlich ist man motiviert, sich weitere Informationen zu holen. Anregend und hervorragend ist der Info-Teil am Ende des Buches. Hier bekommt man gezielt eine Auswahl von Sachbüchern, Romanen, Filmen zu diesem Thema und Hinweise auf Internetseiten. Eine großzügige Landkarte über den Nahen und Mittleren Osten bietet geographische Orientierungshilfe. Abschließend findet man die Quellen, die der Autor verwendet hat und wird auf die immer noch sehr gute Koranübersetzung von Rudi Paret hingewiesen. Ein ausführlicher Index erleichtert die Suche nach Fachbegriffen, die im Text verwendet worden sind.
Zwar ist dieses Buch bereits 2011 erschienen, hat aber leider an seiner Aktualität nichts verloren. Es sollte im Unterricht gemeinsam gelesen und diskutiert werden. Es ist ein absolut wichtiges und sehr gut recherchiertes Buch geworden und geblieben.
Auf der Homepage von Martin Schäuble kann man dazu informative Unterrichtshilfen herunterladen. Richard Klimmer hat sie für die Klassen acht bis zehn erarbeitet.

Anmerkung

Unterrichtsmaterial

Für namentlich oder mit Namenskürzel gekennzeichnete Beiträge und Beurteilungen liegt die presserechtliche Verantwortung beim jeweiligen Autor bzw. bei der jeweiligen Autorin.

Diese Rezension wurde verfasst von Walter Mirbeth; Landesstelle: Bayern.
Veröffentlicht am 17.02.2024

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