Aschenputtel

Autor*in
Perrault, Charles
ISBN
978-3-8369-5818-9
Übersetzer*in
Ori. Sprache
Illustrator*in
Innocenti, Roberto
Seitenanzahl
30
Verlag
Gerstenberg
Gattung
Märchen/Fabel/Sage
Ort
Hildesheim
Jahr
2014
Lesealter
4-5 Jahre6-7 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Bücherei
Preis
14,95 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Aschenputtel – Dies ist das Märchen von der geheimnisvollen Schönen, die Punkt Mitternacht das Schloss verlässt und ihren zauberhaften Schuh verliert; deren Schönheit für ihre missgünstigen Stiefschwestern erst durch einen Zauber offenbar wird, obwohl sie schon immer in ihr schlummerte.
Das altbekannte Märchen kleidet sich hier in bezaubernde Jugendstil-Bilder.

Beurteilungstext

Diese Aschenputtel-Adaption verpflanzt die wohl älteste Geschichte von einer grauen Maus, in der eine Prinzessin ohnegleichen steckt, in das England der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert. Die Handlung bleibt dabei erstaunlich unverändert: Stiefmutter, Asche, Kleider, Palast, Königssohn und der berühmte Schuh gehören in dieser Version des Märchens ebenso zum Inventar wie im Original. In stilechter Ästhetik der Jahrhundertwende spielen sich die Illustrationen vor der Kulisse des Big Ben und des Buckingham Palace ab. Es ist beinahe befremdlich, wie nahtlos sich die romantischen Märchenelemente in das Umfeld eines realen, modernen Königshauses einfügen.
Wenn auch die Handlung keineswegs von der Vorlage abweicht, so lässt sich doch ein leicht veränderter Blickwinkel feststellen: Es steht weniger die Boshaftigkeit der Stiefmutter und -schwestern und die damit verbundene Schadenfreude angesichts deren Niederlage im Mittelpunkt der Erzählung: Beispielsweise wird die gesamte Szene der königlich angeordneten Schuhanprobe, die doch das bitterböse dramatische Kernstück des Originals bildet, heruntergespielt, auf die nötigen Eckdaten beschränkt und somit der beim Leser erzeugten Rachegelüste des Originals beraubt. Diese Version verzichtet sogar auf den Auftritt der schrecklichen Tauben, die „Rucke die guh, Blut ist im Schuh“ gurren und setzt anstelle dessen ein unbedarftes Lachen Aschenputtels, als sei es selbst überrascht darüber, dass sie die gesuchte Prinzessin ist.
Immer wieder wird statt des bösartigen Potenzials des Märchens die innere und äußere Schönheit Aschenputtels betont, die das gesamte Geschehen überstrahlt und nicht nur in Anmut, sondern besonders auch in ihrem Großmut den bösartigen Schwestern gegenüber ihren Ausdruck findet. Zuletzt verschafft sie noch, gutmütig wie sie ist, ihren Stiefschwestern einen Platz am Hofe. So ist die Bemerkung „Aschenputtel, das ebenso gut wie schön war,...“ im letzten Satz als Moral von der Geschichte zu betrachten.
Zu dieser Hommage an die Schönheit passt freilich kaum eine andere Kunstepoche so gut wie die des verschnörkelten, künstlerisch-verträumten Jugendstils. Die Illustrationen sind ganzseitig und detailreich, märchenhaft und doch nahezu realistisch. Besonders in der Mimik der Protagonisten lässt sich außerordentlich viel Bedeutung ablesen. Verstohlen das Geschehen beobachtende Amseln, Katzen, Tauben oder Pfauen am Bildrand tauchen die Szenen in eine geheimnisvolle Stimmung. Ornamente, Blumen und ästhetisch ansprechende Möbel zieren die schlichtweg schönen Bilder. Ein wenig irritierend sind hingegen die Autos, die hin und wieder im Bild erscheinen. Zwar ist ihre Existenz zur Jahrhundertwende historisch korrekt, aber in einer Märchenadaption wie dieser, die eben doch noch auf romantische Motive und nicht auf moderne Stilbrüche setzt, wirken sie deplatziert.
Auf der sprachlichen Ebene ist festzustellen, dass weder die Schriftgröße, noch der Textumfang, noch der Satzbau oder die Erzählweise besonders kindgerecht ist. Ein altertümliches Wort reiht sich nach dem anderen in die komplexen Satzkonstruktionen ein und die häufige Verwendung der indirekten Rede im gestelzten Gewand des Konjunktivs erschwert ebenfalls das Verständnis. Andererseits muss die Sprache eines Märchens selbstverständlich einem gewissen Anspruch gerecht werden und die aussagekräftigen Bilder vermögen vielleicht die Überforderung auf der Sprachebene zu kompensieren.
Auch stellt sich die Frage, wozu man ein Märchen modern interpretiert, wenn es dann doch bei den althergebrachten Motiven bleibt, die mit unserer Lebenswelt nichts zu tun haben. Englische Königssöhne des beginnenden 20. Jahrhunderts sind uns fast ebenso fremd wie die des französischen Mittelalters im Original. Interessant wären dann wenigstens einige historische Anhaltspunkte, die die Jahrhundertwende für das Aschenputtelmotiv relevant machen. So aber scheint das Setting historisch und literarisch willkürlich gewählt und nur mit der besonderen Ästhetik des Jugendstils begründet zu sein. Mit anderen Worten: Was genau hat Aschenputtel eigentlich mit dem Buckingham Palace zu tun?

Die Jugendstil-Interpretation von Aschenputtel ist ein ästhetisch beeindruckendes Werk, künstlerisch und literarisch anspruchsvoll, konzeptionell interessant. Die Adaption scheint nicht ganz einwandfrei aufzugehen und die Eignung für Kinder bleibt zu prüfen. Nichtsdestotrotz: Ungewöhnlich und bemerkenswert ist dieses Buch allemal!

Für namentlich oder mit Namenskürzel gekennzeichnete Beiträge und Beurteilungen liegt die presserechtliche Verantwortung beim jeweiligen Autor bzw. bei der jeweiligen Autorin.

Diese Rezension wurde verfasst von nv.
Veröffentlicht am 01.01.2010

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