Artisten, Freaks und Übermenschen

Autor*in
Pelz, Monika
ISBN
978-3-7026-5876-2
Übersetzer*in
Ori. Sprache
Illustrator*in
Seitenanzahl
136
Verlag
Jungbrunnen
Gattung
Ort
Wien
Jahr
2015
Lesealter
12-13 Jahre14-15 Jahre16-17 Jahreab 18 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Bücherei
Preis
14,95 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Billie ist ein Kind zwischen Artisten in der Zeit des deutschen Nationalsozialismus. Zudem hat Billie das Dritte Auge auf Stirn. Als Kleinkind von Madame Bacclavia entführt um ihrer Show zu dienen, wird er von der taubstummen Judith mütterlich versorgt. Mit dem Dritte Auge erhält Billie, auch Sibylle Bacclavia, später hellseherische Fähigkeiten. Diese will die NSDAP nutzen. Damit begibt sich Billie unvesehens in akute Todesgefahr, die sie nur versteckt überlebt.

Beurteilungstext

Man sollte meinen, wie das Dritte Reich zwischen 1933 und 1945 war, wüsste jeder. Ja, man weiß es aus Sicht der Juden, der Nazis, der Bevölkerung, der Soldaten, der Ausgewanderten und auch der Sinti und Roma. Wie aber war es für ein Kind zwischen Artisten? Das nachzuerzählen und nachempfindbar zu machen, hat sich Monika Pelz mit ihr Buch als Aufgabe gestellt.
Von Madame Bacclavia mit Beruhigungsmitteln stumpf gehalten, was Billie später entdeckt und zu vermeiden lernt, muss auch sonst das in Shows bestaunte Mädchen mit dem hellseherischen dritten Auge auf der Stirn, seinen Weg allein finden. Madame Bacclavia gibt ihr nur zögerlich mehr Freiheiten, letztlich um Billie bei Laune zuhalten.
Billie beschreibt, wie sie sich ihre Selbstständigkeit und Freiheit erkämpft. Sie findet die Medikamente, bringt sich das Lesen durch die Schilder aus dem Varietee bei und lernt schließlich Ihre Gabe als Macht gegenüber Madame Bacclavia einzusetzen. Ihre einzige und mitunter sehr indirekte Hilfe ist von Judith, der stummen Zofe der Madame Bacclavia.
Natürlich erhält sie hierdurch erste und eigentlich längst überfällige Kontakte zum anderen Geschlecht. Ein besonderes Ereignis für Biilie und die Geschichte ist die Schilderung des Showprogramms des Zirkus Medrano. Sehr detailverliebt werden der gesamte Ablaufund die einzelnen Artisten beschrieben.
Dass mehr Freiheit auch größere Verantwortung bedeutet, muss Billie durch den Kontakt mit der NS-Größe Obersturmbannführer Siegmar von Uhlenburg erfahren. Er hat letztlich nur aufgrund ihrer scheinbar übersinnlichen Gabe Interesse an ihr und vermittelt sie schließlich an einen Generaloberst. Dieser deutet ihre letzte Weissagung zur Zukunft des Dritten Reiches um die Weltheitslehre, die sich mit den Ursprüngen der Übermenschen beschäftigt, womit im Dritten Reich die Zuchtauswahl gerechtfertigt wurde.
Schutz findet Billie nun in einer Schrebergartensiedlung als Ilona Ertl, der Nichte des Vikor Gemach, einem Fremden der ihr selbstlos einen Unterschlupf und Verpflegung anbietet, bis der Krieg endet.
Gemach war Karikaturenzeichner. Seine Zeichenfigur, Herrn Hirneder, lässt er in kleinen Bildgeschichten vom kleinbürgerlichen Charakter über den überzeugten Nationalsoziallisten zum Übermenschen anwachsen, bis er schließlich zur ursprünglichen Größe zusammenschrumpft und sich damit den jeweiligen Systemen anpasste. Interessant ist, dass er sich scheinbar mühelos durch alle Systeme wechselte und das keinem auffiel. Fraglich bleibt an der Stelle was das letzte Kapitel, außer Billie, mit den vorangehenden Kapiteln verbindet. Wenn die Geschichte von Billie sich auch immer wieder an die Biografien anderer Charaktere anknüpft, geht die Schilderung des Lebens des Gemach an der Stelle jedoch weit darüber hinaus. Damit endet schließlich auch die Geschichte.
Der Leser kann aus den Schilderungen schnell miterleben, was es bedeutet ein besonderes Kind in der Zeit des Nationalsozialismus gewesen zu sein. Über mehrere Kapitel muss der Leser, wie auch Billie, ein Bewusstsein und eine Wertigkeit für die Umgebung von Artisten und Freaks entwickeln, in der Billie aufwächst. Das gelingt über die ersten Kapitel sehr gut mit einer geradezu detailverliebten Beschreibung. Als jedoch die Welt der Zuschauer mehr und mehr ins Leben von Sibylle Bedeutung erhält, verliert sich leider das gewohnte Tempo. Ob gewollt oder nicht bricht die Erzählung aus der gewohnten Umgebung.
Die Geschichte verliert sich in vielen neuen Charakteren, die so anders so normal als die der ersten Kapitel sind. Sibylles Drittes Auge trocknet plötzlich ein und verschwindet und auch ihre Umgebung besteht nur noch aus normalen Bürgern.
Dem Leser mag sich bei den letzten beiden Kapiteln die Frage stellen, was würde aus den anderen Figuren?
Nichtdestotrotz gibt das Buch wie eingangs erwähnt einen ungewohnten Einblick in eine bis heute mit Vorurteilen gespickte Welt der Freaks. Wie gefährlich muss das Leben in dem Jahrzehnt der Gleichschaltungen gewesen sein?
Soweit wie möglich gibt die Geschichten dem Leser die Möglichkeit, sich in eine vergangene Zeit zwischen den beiden Weltkriegen einzulesen, auch mit Hilfe eines kleinen Glossars.

Für namentlich oder mit Namenskürzel gekennzeichnete Beiträge und Beurteilungen liegt die presserechtliche Verantwortung beim jeweiligen Autor bzw. bei der jeweiligen Autorin.

Diese Rezension wurde verfasst von BB.
Veröffentlicht am 01.04.2015

Weitere Rezensionen zu Büchern von Pelz, Monika

Pelz, Monika

Artisten, Freaks und Übermenschen

Weiterlesen
Pelz, Monika

Die Verschwörung der Dichter

Weiterlesen
Pelz, Monika

Die Verschwörung der Dichter

Weiterlesen
Pelz, Monika

Nicht mich will ich retten - Die Lebensgeschichte von Janusz Korczak

Weiterlesen
Pelz, Monika

Winchester Mystery

Weiterlesen
Pelz, Monika

Der hellwache Träumer Die Lebensgeschichte des Jean-Jacques Rousseau

Weiterlesen