Amani, das Hirtenmädchen

Autor*in
Carter, Anne Laurel
ISBN
978-3-7026-5824-3
Übersetzer*in
Rapp, Brigitte
Ori. Sprache
Kanadisches Englisch
Illustrator*in
Seitenanzahl
160
Verlag
Jungbrunnen
Gattung
Erzählung/Roman
Ort
Wien
Jahr
2011
Lesealter
12-13 Jahre14-15 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Preis
13,90 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Amani liebt es, ihren Großvater zum Schafehüten zu begleiten. Entgegen den Traditionen in der palästinensischen Großfamilie bestimmt der Großvater das Mädchen zu seiner Nachfolgerin als Hirte. Während Amani heranwächst und Pläne für die Modernisierung der Schafzucht macht, rückt der israelische Siedlungs- und Autobahnbau immer näher, bis der Konflikt eskaliert.

Beurteilungstext

Zunächst, wenn man ohne Vorinformationen zu lesen beginnt, könnte man meinen, man sei in einem historischen Jugendroman à la Arnulf Zitelmann, der anschaulich das Hirtenleben in Palästina vor 2000 Jahren schildert.
Erst allmählich merkt der Leser, dass der Roman in der Gegenwart spielt und es sich nicht um rückständige, tumbe Bauern handelt. Internet und Handy sind präsent. Tradition und Moderne treffen aufeinander, insbesondere in der Entscheidung des Großvaters, dass entgegen der Tradition ein Mädchen sein Nachfolger als Hirte werden und selbst entscheiden darf, wann es statt des heimischen Unterrichts durch die Familienmitglieder in die Schule gehen möchte, um richtig Englisch zu lernen.

Was somit etwas schleppend beginnt, und vielleicht Leser zu früh dazu bringen könnte, das Buch zur Seite zu legen, erweist sich als zentral für die Gesamtkomposition, da man vom Traditionellen aus den Einbruch und die Wandlung erlebt: Verkleinerung der Weidegebiete durch israelischen Straßenbau für Israelis und die Ansiedlung jüdischer Siedler bis hin zur Zerstörung der Arbeits- und Lebensgrundlagen mit der Umpflügung der Oliventerrassen.
Der Roman wird dabei inhaltlich und auch sprachlich konsequent aus Amanis Sicht erzählt. Gekonnt spiegelt sich dabei ihr wachsender Horizont wider.

Nach und nach entfaltet sich zugleich der Nahostkonflikt, wie er aus Sicht palästinensischer Bauern in israelischen Siedlungsgebieten erlebt wird: Reiseerschwernisse bei Familienbesuchen, Einschränkungen und Hindernisse bei der Ausübung der Landwirtschaft als ihrer Lebensgrundlage, Verbote zum Befahren der israelischen Autobahn. Die Frage, wie Widerstand geleistet werden kann, ob mit oder ohne Gewalt, entzweit die Familie. Amani und mit ihr der Leser erfährt die unterschiedlichen Haltungen dazu über die Figuren ihrer Familie. Die Argumentation der jüdischen Siedler auf der anderen Seite arbeitet die Autorin als paradox heraus: Sie errichten neu ihre Siedlungsbauten und begründen die Zerstörung der Olivenbäume damit, dass die Palästinenser zu nah und gefährlich seien. Die Autorin ergreift somit deutlich erkennbar Partei für die palästinensischen Dorfbewohner und stellt sich gegen die israelische Siedlungspolitik. Sie zeigt auf, wie eine Gewaltspirale in Gang gesetzt - aber auch wie sie unterbrochen werden kann: durch gewaltlosen Widerstand. Doch zugleich beschreibt sie diese Entwicklung zur Gewalt hin als nachvollziehbar, wenn der Leser mit Amani ihre Wut über die Zerstörung der Olivenhaine erlebt und das Mädchen die Maschine bzw. die Fahrerkabine mit Steinwürfen attackiert, um ihre letzen beiden Lämmer zu retten. Eine gewisse Ausgewogenheit erreicht die Autorin, wenn sie in der Familie die Gründe für die Angst der Siedler bzw. für die der Israelis ansprechen lässt, nämlich Selbstmordattentate palästinensischer Terroristen.

Wichtig ist, dass Carter andeutet, wie Versöhnung statt Angst, gegenseitige Bedrohung und Gewaltspiralen aussehen könnte. Eine Möglichkeit zeigt sich darin, dass gewaltfreie und offene Kommunikation - symbolträchtig - nur im "Paradies" möglich ist, einer versteckten Hochebene mit Weidefläche und Bach, einem Ort, der schwer zu finden ist und der außerhalb des Dorfgebietes und der jüdischen Siedlung liegt. Diese Wiese zeigte sich Amanis Opa in Notzeiten, wobei die Autorin hier nicht ins Magisch-Mystische abgleitet. Dass der Zugang schwer zu finden ist, ist durch die geologischen Gegebenheiten plausibel. Dort trifft Amani einen jüdischen Jungen, der, in New York aufgewachsen, sich von dem Vorgehen und der Argumentation der Siedler distanziert. In ihm kommen die Siedler zu Wort, aber erneut auch die berechtigte israelische Angst vor Selbstmordattentätern. Erst allmählich überwindet Amani ihr Misstrauen, lernt die Denkweise der Siedler kennen, aber auch, dass nicht alle Israelis diese gutheißen. Eine zweite Möglichkeit wird damit beschrieben, dass Unrecht und Menschenrechtsverletzungen, gleichgültig von welcher Seite sie begangen werden, deutlich als solche benannt werden müssen und bekanntgemacht werden dürfen. Im Roman protestieren ein Rabbi, ein internationaler Friedensaktivist und die von Gewaltlosigkeit überzeugten Dorfbewohner zusammen und organisieren Hilfe.

Der Roman vermittelt somit altersgemäß ein höchst aktuelles, komplexes und brisantes Thema. Er ist ohne Vorkenntnisse oder besonderes politisches Interesse zu lesen und macht den Leser neugierig auf die Situation in Nahost. Die Hauptperson Amani als Mädchen, das seine Schafe liebt und sich aus europäischer Sicht sehr jung durchsetzen und bewähren muss gegenüber traditionellen Berufs- und Rollenvorstellungen der Familie, spricht als Identifikationsfigur eventuell stärker Mädchen als Jungen an. Aber jeder Leser ab etwa 13 Jahren wird mit zunehmender Spannung im Romanverlauf in den Nahostkonflikt hineingezogen werden, ganz nah bei den betroffenen Menschen.

Für namentlich oder mit Namenskürzel gekennzeichnete Beiträge und Beurteilungen liegt die presserechtliche Verantwortung beim jeweiligen Autor bzw. bei der jeweiligen Autorin.

Diese Rezension wurde verfasst von KH.
Veröffentlicht am 01.01.2010

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