Als wir allein waren

Autor*in
Robertson, David
ISBN
978-3-95878-034-7
Übersetzer*in
Kayser, Christiane
Ori. Sprache
Englisch
Illustrator*in
Flett, Julie
Seitenanzahl
27
Verlag
Little Tiger Verlag
Gattung
Buch (gebunden)
Ort
Gifkendorf b Lüneburg
Jahr
2016
Lesealter
6-7 Jahre8-9 Jahre10-11 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Preis
13,90 €
Bewertung
empfehlenswert

Teaser

„Als wir allein waren“ ist ein Buch über kulturelle Identität. Etwas holprig wird der Leser mitgenommen zu einer indigenen Minderheitskultur in Kanada. Der Dialog zwischen Großmutter und Enkeltochter während der Gartenarbeit lädt ein, über Akzeptanz von kulturellen Unterschieden und das Zusammenleben von Menschen mit unterschiedlicher Kultur und Sprache nachzudenken.

Beurteilungstext

Die Erzählung ist ein Dialog zwischen dem Mädchen Nósisim und ihrer Großmutter, die in der Geschichte „Kókom“ (die Oma) oder „Nókom“ (meine Oma) genannt wird. Diese Begriffe stammen aus der Swampy-Cree-Sprache, einer Sprache indigener Völker Kanadas. Und das ist auch der Hintergrund der Geschichte: Die Kinder der Cree-Minderheit sollten spezielle Internate, sogenannte Residential Schools, besuchen, um in Kultur und Sprache umerzogen zu werden und die Englische Sprache sowie die kanadische Kultur übernehmen. Die Großmutter in der Geschichte hat dieses Schulsystem als Kind erlebt. Ihrer Enkeltochter fällt auf, dass sich die Oma auffällig bunt kleidet, den Zopf lang trägt, in ihrer Sprache spricht und dass Familie sehr wichtig ist. Alles das wurde versucht durch das strenge Schulsystem zu unterbinden. Der Kontrast von grauen und ernsten Bildern zu farbenfrohen, fröhlichen Seiten unterstreicht die Gefühle der Großmutter und den Unterschied der erlebten Demütigung als Kind und der gelebten Freiheit im Jetzt.

Das Buch ist nach einem wiederkehrenden Schema aufgebaut. Das Mädchen Nósisim stellt der Großmutter eine Frage. Immer mit dem selben Satzanfang „Weißt du, Nósisim, …“ beginnt die Oma einen kleinen Teil aus ihrer Kindheit und der Schulzeit zu erzählen. Satzteile, wie „Doch in der Schule, in der ich war, weit weg von Zuhause…“ kehren dabei immer wieder. „Warum…?“ ist die Gegenfrage der Enkeltochter, und die Oma erklärt „Sie mochten es nicht, wenn wir das taten.“ Aber manchmal taten sie genau das, was verboten war. Manchmal im Herbst legten sie sich ins bunte Laub, das fast so bunt war wie die Kleidung Zuhause, manchmal im Frühling flochten sie sich Grashalme ins Haar, um doch wieder lange Haare zu haben wie früher, manchmal im Sommer sprachen sie leise in ihrer Muttersprache, und manchmal im Winter traf sie sich heimlich mit ihrem Bruder, um für einen kurzen Augenblick Familienleben zu haben. „Heute trage ich immer die schönsten bunten Farben. Heute trage ich mein Haar immer sehr lang. Heute rede ich immer in meiner Sprache. Heute bin ich immer mit meiner Familie zusammen.“, erklärt die Großmutter. Die Berichte aus der Vergangenheit und die Dialoge im Jetzt sind durch unterschiedliche Farben gekennzeichnet, wodurch die verschiedenen Zeiten der Erzählung für den Leser leicht verständlich sind.

Dem Autor David A. Robertson gelingt es, den Leser in die emotionale Welt eines Kindes in einem System von Demütigung hineinzunehmen, das Dilemma kultureller Identität darzustellen und dabei fast höflich Kritik an dem nunmehr beendeten System zu üben. Vielleicht gelingt es ihm so gut, da er selbst Cree-Wurzeln hat und seine eigene Großmutter im Residential-School-System erzogen wurde.

Diese Erläuterung befindet sich am Ende des Buches, und ist auf jeden Fall notwendig, um Hintergründe der Geschichte und verwendete Worte der Swampy-Cree-Sprache zu verstehen. Besser wäre ein solcher Einführungstext am Anfang des Buches. Denn im deutschsprachigen Kontext ist die Geschichte und vielleicht auch die Existenz der indigenen Cree-Bevölkerung Kanadas größtenteils unbekannt, nicht zuletzt für Kinder. Dem Leser wird in der Geschichte nicht deutlich, um welche historische Zeit und welchen Kulturkreis oder Kontinent es sich handelt. Auch die unterschiedlichen Bezeichnungen „Kókom“ (Oma) und „Nókom“ (meine Oma) wirken zu Beginn eher wie ein Rechtschreibfehler. Es bedarf also einer Vorkenntnis des Lesers bzw. Vorlesers, um die Erzählung in vollem Maße zu verstehen, sowie einer geschichtlichen Erläuterung gegenüber Kindern. Die Geschichte der Cree hat ersteinmal wenig mit der Lebenswelt der Kinder im Deutschsprachigen Raum zu tun. Nichtsdestotrotz können Themen wie Unterdrückung, Identität in der eigenen Kultur, Familie und Sprache auch auf unsere Zeit übertragen und mit Kindern behandelt werden.

Die spannende Botschaft des Buches ist letztendlich, dass die strenge Umerziehung zwar Demütigung, aber offensichtlich nicht bewirkt hat, dass die Sprache nicht mehr gesprochen wird, die bunte Kleidung nicht mehr getragen wird und die Familien Kontakt haben. Mit einer guten Überleitung könnte mit älteren Kindern hier ein Dialog über den Umgang mit Multikulturalität, dominanten und unterdrückten Kulturen oder Lösungswegen von Akzeptanz und Integration entstehen.

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Diese Rezension wurde verfasst von Hu; Landesstelle: Hessen.
Veröffentlicht am 03.10.2020