Als Kindersoldat in Auschwitz: Die Geschichte einer Klasse.

Autor*in
ISBN
978-3-86393-058-5
Übersetzer*in
Ori. Sprache
Illustrator*in
Seitenanzahl
183
Verlag
Europäische Verlagsanstalt
Gattung
Ort
Hamburg
Jahr
2014
Lesealter
14-15 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Fachliteratur
Preis
19,90 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Kaum zu ertragen: Im Romanfragment "Die Geschichte einer Klasse" verarbeitet der schon 1965 mit 36 Jahren verstorbene Journalist Thomas Gnielka seine Erfahrungen und Erschütterungen während des Falkhelfer-Einsatzes zum Schutz des IG-Farben-Werks in Auschwitz mit seiner zwangsverpflichteten Gymnasialklasse aus Berlin Ende 1944. Beigegeben sind dem Text in einer Dokumentation eine Reihe von Gnielkas Artikeln aus der Nachkriegszeit sowie ein Essay des Historikers Norbert Frei.

Beurteilungstext

Gnielka schreibt zu seinem fragmentarisch gebliebenen Roman: "Es ist meine Absicht, in dieser Arbeit etwas über das Schicksal all derer zu sagen, die in den letzten Kriegsjahren im Kindesalter eingezogen und an die Front geworfen wurden. ... Die Sinnlosigkeit des Ganzen und die gewaltsame Verformung und Missbildung der Seele dieser Kinder wird ... aufgezeigt. Die Perspektive, aus der beobachtet wird, ist die dieser Kinder. .... Das Buch ist gegen den Krieg. Nicht nur gegen die Einziehung von Kindern, sondern gegen den Krieg im Allgemeinen." (S. 83/84)
Nach den ihn zutiefst erschütternden unmittelbaren Anschauungen des von Menschen gemachten Grauens in Auschwitz, machen er und einige seiner Klassenkameraden sich heimlich davon, zurück nach Berlin, wo er sich einer Widerstandsgruppe anschließt. Die Jungen in seiner Klasse sind gerade mal 15 und haben noch von nichts eine Ahnung, nicht vom Erwachsenenleben im Alltag und schon gar nicht vom Leben und Sterben im Krieg. So ist eben auch der Ton dieses Romanfragments das Besondere, das dem Leser und der Leserin, eine neue Sichtweise ermöglicht: Durch die Augen dieses Jungen, dieses "Nochkindes" vor der Pubertät schaut man auf die Ereignisse und das historisch verbürgte und erforschte Geschehen. Die lakonischen, leicht verwunderten Beschreibungen der Ereignisse, so ganz ohne Pathos lassen einem irritierter zurück als es jede dramatisierende Schilderung vermocht hätte.
Er kann seine Erlebnisse als "Kindersoldat" nicht vergessen und verdrängen: So wird er sich in den Jahren nach der Befreiung mit den Mördern in den Konzentrationslagern, von denen es den meisten gelungen war, sich hinter einer bürgerlichen Fassade in Westdeutschland zu verbergen, recherchierend und schreibend auseinandersetzen. Nachlesen kann man dies in den leserfreundlichen und zugleich exakten und informativen Artikeln, die Gnielka in verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften in den Jahren seiner journalistischen Tätigkeit von den frühen 50er Jahren bis zu seinem Tod 1965 veröffentlicht hat. Entstanden sind außerdem Reportagen für Radio und Fernsehen.
Das Romanfragment blieb ungedruckt und wurde erst jetzt in einer sorgfältigen Edition zusammen mit weiteren einordnenden und kommentierenden Texten, u.a. auch eines erinnernden Textes der Frankfurter-Rundschau-Kollegin Claudia Michels (Ende 2014 verstorben) von Werner Renz vom Frankfurter Fritz Bauer Institut und von Kerstin Gnielka (im Namen aller fünf Kinder von Thomas Gnielka) herausgegeben.
Bei einer seiner Recherchen lernte Gnielka den Holocaust-Überlebenden Emil Wulkan kennen, der ihm Original-Aktenblätter übergab, die im Mai 1945 im Breslauer SS- und Polizeigericht geborgen wurden. Diese gibt er an Dr. Fritz Bauer, den späteren Generalstaatsanwalt in Frankfurt/M., weiter, der sie als Beweise für die direkte persönliche und damit justiziable Verantwortung konkreter Täter (wie Kommandant Höß) nutzen kann. Einer größeren Öffentlichkeit (auch der Rezensentin) bekannt wurde dieses Verdienst Gnielkas durch den sehr empfehlenswerten Spielfilm "Im Labyrinth des Schweigens" von G. Ricciardelli, der die Vorgeschichte des Auschwitz-Prozesses erzählt.
Buch und Film empfehle ich für die schulische Verwendung im fächerübergreifenden und medienintegrierenden Unterricht ab der Klasse 9. Beide lehren uns, was ein engagierter Journalismus bewirken kann und berichten davon, was es für Kinder und Jugendliche bedeutet, in verbrecherische Kriege und Auseinandersetzungen hineingezogen zu werden.

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Diese Rezension wurde verfasst von ASR.
Veröffentlicht am 01.01.2016