Als die Vögel vergaßen, Vögel zu sein
- Autor*in
- Garrido, Diaz
- ISBN
- 978-3-905945-51-5
- Übersetzer*in
- Thiessen, Lydia
- Ori. Sprache
- Spanisch
- Illustrator*in
- Alvarez Hernandez, David Daniel
- Seitenanzahl
- 32
- Verlag
- Aracari
- Gattung
- BilderbuchMärchen/Fabel/SageSachliteratur
- Ort
- Baar, CH
- Jahr
- 2015
- Preis
- 14,90 €
- Bewertung
Schlagwörter
Teaser
Die Gesellschaft der Vögel hat beschlossen, anders, praktischer und bequemer zu leben. Aber indem sie ihre Eigentümlichkeit und ihre ursprünglichen Besonderheiten vergessen und z.B. das Fliegen verlernen, verlieren sie auch sich selbst und ihren Gemeinschaftssinn. Ungewöhnliche Bildgestaltungen und ein knapper, parabelhafte Text zwingen die Leser zum Nachdenken und provozieren Fragen nach dem eigenen Leben in einer Gemeinschaft.
Beurteilungstext
Das Bilderbuch „Als die Vögel vergaßen, Vögel zu sein“ erschien in der „Kleinen philosophischen Bibliothek“ des Aracari Verlages in Zürich. Es ist inzwischen mehrfach ausgezeichnet bzw. für Preise nominiert worden. Der „LesePeter“ wurde ihm im August 2015 verliehen, die Stiftung Buchkunst setzte es auf die Shortlist „Die schönsten deutschen Bücher 2015", es gewann den «5. Internationalen Preis von Compostela für illustrierte Bücher». Die Schöpfer des Bilderbuches sind beide in Mexiko zuhause und haben dort Grafik und Buchkunst studiert.
In allen bisher erschienenen Rezensionen wird die ungewöhnliche Bildgestaltung der ausschließlich in Schwarz-Weiß und mit Bleistift gezeichneten Illustrationen gelobt und bewundert. Und tatsächlich sind es die ungewöhnlich verstörenden, großformatigen, fast die ganzen Buchseiten füllenden Zeichnungen, die ins Auge fallen und zum Nachdenken zwingen. Was sind das für menschenähnliche, leicht verfettete Vögel, die meist ratlos, missmutig oder tief traurig in Astgabeln von Bäumen hocken? Was ist ihnen geschehen und was haben die Regenschirme, die auf jeder der Szenen zu sehen sind, für eine Bedeutung?
Die Vögel, heißt es in dem knappen Text, der die Bilder begleitet, haben eines Tages beschlossen, sich ein anderes Leben vorzustellen und anders zu leben. Ein neues Zeitalter begann, indem sie andere Flugmethoden entwickelten, nämlich künstliche, und mithilfe von Ballons statt ihrer eigenen Flügel flogen. Die schönen Nester, die sie sich nun bauen, gleichen Gefängnissen, die Regenschirme, die sie sich angewöhnen zu benutzen taugen nicht und sind höchstens hinderlich. Sehr bald haben sie angefangen, so heißt es im Text, zu weit zu gehen., Sie suchten das Einfache, Praktische und Bequeme und vergaßen dabei offenbar sich selbst: ihre Eigentümlichkeit, ihre besonderen Fähigkeiten, ihren Eigensinn. Sie wünschten „sich Dinge, die niemand haben kann“ und „wollten alles kontrollieren und beherrschen“, aber das wichtigste, scheint es, vergaßen sie dabei: „den Umgang, das Verhalten und das Verständnis untereinander“.
Die verfetteten, wie Menschen gekleideten Vogelwesen, laufen, fliegen und trotten jeder für sich allein durch eine leere, und wie es scheint auch zerstörte Welt. Die Schirme konnten sie nicht beschützen und bewahren, weil sie vergaßen, sich um ihren ganz eigenen Schutz und Halt mit ihren eigenen Mitteln und ein Miteinander und Füreinander zu kümmern.
Ganz zum Schluss, im letzten Bild, besinnt sich ein Vogeljunges auf die ursprünglichen eigenen Fähigkeiten: es möchte mit seinen eigenen Flügeln fliegen können und hängt, mit einem Seil gesichert am Baum, um es auszuprobieren. Der Vater steht bereit, um es aufzufangen und die Vogelmutter schaut liebevoll zu.
Das ist ein tröstliches Schlussbild und es rahmt die Szenerien, die den Lesern und Leserinnen des Bilderbuches angeboten werden, um ihre Nachdenklichkeit zu provozieren. Nachdenken worüber? Über die uralten Fragen menschlichen Zusammenlebens: wie kann es gelingen, was kann der Einzelne einbringen, was kann in der Gemeinschaft entstehen, gelingen und misslingen und wodurch und wie? Insofern entwerfen Bilder und Texte parabelhaft ein Gesellschaftsmodell, das so, wie es hier gezeigt wird, nicht funktionieren kann.
Wie alt Kinder sein müssen, um diese Nachdenklichkeit teilen zu können ist schwer zu beantworten. Ganz sicher bedarf es den Austausch mit Erwachsenen, die eine solche Lektüre begleiten und mit den Kindern zusammen versuchen, die Bildsprache zu entschlüsseln. Das ist ein anspruchsvolles Unternehmen, aber es kann Räume für Weltwahrnehmung und Weltverständnis öffnen und produktiv machen.
Prof. Dr. Eva Maria Kohl