Alice im Wunderland - Alice hinter den Spiegeln

Autor*in
Carrol, Lewis
ISBN
978-3-8369-5864-6
Übersetzer*in
Enzensberger, Christian
Ori. Sprache
Englisch
Illustrator*in
Rieder, Floor
Seitenanzahl
380
Verlag
Gerstenberg
Gattung
Fantastik
Ort
Hildesheim
Jahr
2015
Lesealter
10-11 Jahre12-13 Jahre14-15 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Preis
25,00 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Teaser

Prachtausgabe zum 150. Geburtstag des Klassikers der Kinder - und Jugendliteratur “Alice im Wunderland” und “Alice hinter den Spiegeln” in einem Doppelband.

Beurteilungstext

Die bekannte Geschichte von dem ca. 10-jährigen Mädchen Alice, das einem Kaninchen in den Bau folgt, in einen Schacht stürzt und damit in eine fantastische Welt voller seltsamer Figuren, wurde jetzt im Gerstenberg-Verlag in ein neues, prächtiges Gewand gehüllt. - Die preisgekrönte niederländische Illustratorin Floor Rieder verwendet für ihre Zeichnungen eine alte Kratztechnik in Kombination mit moderner Computergrafik (vgl. Einführungsseite). Ihr gelingen damit Illustrationen von eigentümlichem Reiz, die modern und antiquiert zugleich anmuten. Das zeigt sich schon am Cover. Das stilisierte Blättergeranke erinnert an das Originalmanuskript aus dem Jahre 1864, wirkt aber nicht altmodisch dank der frischen Farben , klaren Formen und der kleinen Mädchenfigur in Turnschuhen. Jedem Kapitel vorangestellt ist eine ähnlich gestaltete Seite mit unterschiedlich geformtem Blättergewirr, in dem der Leser Alice entdecken kann. Sie scheint eingewoben zu sein in diese geheimnisvolle Welt; macht z. T. einen verlorenen und hilfsbedürftigen, dann auch wieder neugierigen und unternehmungslustigen Eindruck. Geschickt wird hiermit eine Deutung vom Wunderland als Labyrinth evoziert. Die Mädchenfigur zeigt kaum individuelle Züge, wirkt holzschnittartig, typisiert durch einen altmodischen Mädchenhut und eine “intelligente” Brille.

Kleine Kunstwerke für sich sind die durch einen Rahmen gekennzeichneten Bilder. Sie nehmen eine Seite für sich in Anspruch und veranschaulichen eine entscheidende Situation des entsprechenden Kapitels. Außerdem bereiten sie einen Extraspaß, weil es hier der Künstlerin besonders gut gelingt, das ironisch-satirische Element des Romans zu verdeutlichen. (Als Beispiele seien genannt die Seite 39 - die Maus als Respektsperson mit “gewichtiger Miene” und die Seite 82 mit den herrlich blasiert auftretenden Lakaien mit Frosch und Fischgesicht). - Insgesamt ist der Doppelband üppiger bebildert als alte Ausgaben mit den bekannten Illustrationen von John Tenniel. Farbig unterlegte Doppelseiten, Zeichnungen, die über beide Seiten gehen, Ornamente zugunsten realistischer Darstellung, alles das verleiht dem Werk einen fröhlicheren, munteren Eindruck, wirkt dem teilweise unheimlichen und abgründigen Inhalt entgegen.

Dreht man das Buch um, findet man (passend in Spiegelschrift geschrieben) den Titel zu der sieben Jahre später erschienenen Fortsetzungsgeschichte “Alice hinter den Spiegeln”. Die Einbandseiten zeigen ähnlich wie im Wunderlandbuch wesentliche Requisiten, die auf den Inhalt der Fortsetzung verweisen: Krähe, Schnake, Rose mit Gesicht, Wolleknäuel, Tortenstücke, Schachfiguren, Alice als Schachkönigin u. a. (Statt mit Spielkarten wie im Wunderland muss sich Alice nun mit Schachfiguren auseinandersetzen, wird Teil einer Schachpartie).

Entscheidend für die beiden Geschichten ist die Struktur und die Dramaturgie des Traumes. Alle Begegnungen mit z. T. feindlichen und unberechenbaren Fabelwesen, alle Nonsens-Gespräche und Aktivitäten passieren im Traum. Die dort herrschende Willkür und bestürzende Regellosigkeit klärt sich auf. Alice wacht auf und findet sich wohlbehalten im Schoß ihrer Schwester liegend oder mit dem schwarzen Kätzchen im Arm vor dem Kamin. Das ist wichtig, will man die Alice-Geschichten als Kinderbuch begreifen. Im Hinblick auf die Wortspiele, Wortneuschöpfungen und Gedankenkonstruktionen des Autors ist es eher ein Buch für Erwachsene.

Angesichts der großartigen Illustrationen erstaunt es, dass der Verlag nicht den Mut gefunden hat zu einer neuen Übersetzung. Die von Chr. Enzensberger gilt inzwischen selbst als klassisch. Aber verstehen Kinder und Jugendliche heute noch eine so bewusst altmodische Sprache? (Reizt folgender Beginn zum Weiterlesen? “Gemach im goldenen Nachmittag gleiten wir leis dahin...”).

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Diese Rezension wurde verfasst von PF.
Veröffentlicht am 01.04.2016