Ailins Weg

Autor*in
Namioka, Lensey
ISBN
978-3-407-78897-9
Übersetzer*in
Ori. Sprache
Illustrator*in
Seitenanzahl
188
Verlag
Gattung
Ort
Weinheim
Jahr
2000
Lesealter
12-13 Jahre16-17 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Preis
6,90 €
Bewertung
nicht empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Ailin wächst wohlbehütet in Nanking in einer Oberschichtfamilie auf. Sie setzt gegen den Druck der Familie mit Hilfe des Vaters durch, dass ihre Füße nicht eingebunden werden und dass sie eine öffentliche Schule besuchen darf. Doch der Vater stirbt, als sie 12 ist, und sie muss sich selbst versorgen als Kindermädchen bei einer amerikanischen Familie. Während der Überfahrt in die USA lernt sie ihren späteren Mann kennen.

Beurteilungstext

Die Erzählung beginnt 1925 in San Franzisko in einem chinesischen Restaurant. Die Ich-Erzählerin ist die junge Frau des Besitzers. Durch einen überraschenden Besucher wird sie an ihre wohlbehütete Kindheit erinnert, denn mit fünf Jahren wurde sie mit diesem Hanwei verlobt. Ailins Kindheit im - noch - kaiserlichen China mit Geschwistern und Dienerschaft in einem Geflecht von Gebäuden und Familien, die im Haus der Taos zusammen wohnen, wirkt in ihrer Erinnerung sehr lebendig, auch wenn die strengen Konventionen Ailin bald anecken lassen. In vielen Passagen fühlte ich mich an Pearl S. Bucks China-Schilderungen , etwa “Die Frauen des Hauses Wu” erinnert. In diese Kindheit fällt der Sturz der chinesischen Mandschu-Kaiser und die Regierung Sun Yatsens, die Konfrontation der chinesischen Gesellschaft mit den Fremden. Im Gegensatz zum traditionell denkenden Onkel ist der Vater, der dank einer Stellung bei der Zollbehörde viel Kontakt mit den Ausländern hat, aufgeschlossen und bereit, in neuen Bahnen zu denken. Er entscheidet nach heftigem Kampf, dass Ailin ihre Füße nicht eingebunden bekommt, was dann zur Lösung ihrer Verlobung führt. Das Motiv der eingebundenen Füße zieht sich durch das ganze Buch. Sie sind ein Sinnbild der Fesselung an die überholten Traditionen in der chinesischen Oberschicht, mehr noch eine Fessel der Frauen an ein konservatives Ausgehaltensein in einer hierarchischen Gesellschaft. Aber die Entwicklung Ailins wird ganz aus ihrer Sicht und in der Abfolge von familiären Situationen mit eingestreuten Dialogen geschildert, die ein anschauliches Bild dieses Familienlebens geben. Da ist die strenge, aber liebevolle Großmutter, die die Verlobung einfädelt. Die Mutter hat wenig zu sagen. Bezugsperson für Ailin ist mehr ihre deutlich ältere Schwester, durch die ihr die Schrecken der eingebundenen Füße deutlich vor Augen geführt werden. Und ihre Amah, ihre zierliche, leicht überforderte Kinderfrau, der Ailin nur zu leicht weglaufen kann, weil ihre Füße noch nicht eingebunden sind.
Nach drei Jahren bei einem Privatlehrer schickt der Vater sie auf eine öffentliche Schule und das heißt, Ailin erlebt die erste Konfrontation mit “den fremden Teufeln”. Sie wird dank einer natürlichen Sprachbegabung schnell eine der besten Schülerinnen. An historische Ereignisse wie den Boxeraufstand, das Ende der Herrschaft der Kaiserinwitwe wird dadurch erinnert, dass Ailin aufmerksam den Gesprächen der erwachsenen Männer lauscht.
Aber der Vater stirbt an Tuberkulose, als Ailin 12 Jahre alt ist, an einen weiteren Schulbesuch ist wegen der ablehnenden Haltung des Onkels nicht mehr zu denken. Durch Vermittlung ihrer Englischlehrerin bekommt Ailin die Chance, als Amah, Kindermädchen, die beiden Kinder einer amerikanischen Missionarsfamilie zu betreuen. Das bedeutet die Trennung von ihrer Familie, in der sie auch keine Unterstützung mehr hat.
Dieser erste Schritt aus der Familie zieht weitere nach sich, denn sie muss sich an die Bedingungen der neuen Familie anpassen. Dieser längere Prozess wird im Roman nur in großen Schritten wieder gegeben, konzentriert auf einige wenige Szenen, die entscheidend für ihren Weg sind. Immer wieder zeigt sich ihre Intelligenz und Kraft auch in Situationen, die eigentlich ein noch unmündiges Mädchen überfordern.
Als die amerikanische Familie für ein jahr auf Heimaturlaub nach San Franzisko fährt, bitten sie Ailin um Begleitung und Hilfe für die Kinder. Hier lernt sie ihren späteren Mann kennen, den Sohn eines chinesischen Restaurantbesitzers, der schon in San Franzisko geboren wurde. Auch hier greift die Autorin geradezu klassische Szenen heraus, um die Konfrontation der jungen Frau mit den kulturellen Unterschieden zu beleuchten, aber auch mit ihren originellen Methoden, damit umzugehen. Am Schluss der Erzählung steht die Rückkehr zur Gegenwart in den USA 1925 und zu dem überraschenden Besucher. Voller Stolz kann sie auf ihre großen Füße blicken, die es ihr erlaubten, sich ihren Platz zu erkämpfen.
Auch wenn der Rahmen der Geschichte in einer Zeit spielt, von der heutige Jugendliche kaum etwas wissen, konzentriert sich die Perspektive des Romans auf diese junge Frau und ihre großen Schritte, so dass das Buch auch ohne weitere Kenntnisse als Entwicklungsroman auf dem Hintergrund kultureller Konfrontationen aus nichteuropäischer Perspektive reizvoll und zu empfehlen ist.

Für namentlich oder mit Namenskürzel gekennzeichnete Beiträge und Beurteilungen liegt die presserechtliche Verantwortung beim jeweiligen Autor bzw. bei der jeweiligen Autorin.

Diese Rezension wurde verfasst von uwo.
Veröffentlicht am 01.01.2010

Weitere Rezensionen zu Büchern von Namioka, Lensey

Namioka, Lensey

Ein Meer dazwischen, eine Welt entfernt

Weiterlesen