Abgefahren

Autor*in
Pope, Dirk
ISBN
978-3-446-25875-4
Übersetzer*in
Ori. Sprache
Illustrator*in
Seitenanzahl
240
Verlag
Hanser
Gattung
Erzählung/RomanTaschenbuch
Ort
München
Jahr
2018
Lesealter
14-15 Jahre16-17 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Bücherei
Preis
15,00 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Teaser

Seinen Anfang nimmt die Geschichte bei Kilometer 279. Soweit ist der 17jährige Viorel bereits von Essen entfernt. Es folgen noch 2251 Kilometer, bis er in Sfântu Gheorghe am Schwarzen Meer in Rumänien ankommt. Im Kofferraum des alten Opel Corsa seine tote Mutter. Einen offiziellen Überführungsschein hat er nicht und einen Führerschein auch nicht. Aber 300€. Die müssen reichen, um seine Mutter in ihrer Heimat, in die sie zurück wollte, zu begraben– dort, in Siebenbürgen (oder Transsilvanien).

Beurteilungstext

Zwei Reisen – ans Schwarze Meer und in die Gedanken und Gefühlswelt von Viorel:

Aus der biografischen Lesesozialisationsforschung wissen wir, dass es im Übergang zum Jugendalter bei vielen jungen Leserinnen und Lesern zu einer Lesekrise kommt. Was es in dieser Phase braucht, sind Lesestoffe, die den veränderten Bedürfnissen der Jugendlichen entgegenkommen. Dirk Popes „Abgefahren“ ist ein solcher Lesestoff: ein skurriler, abenteuerlicher Selbstfindungsroadroman, der ästhetischen Lesegenuss verspricht.

Seinen Anfang nimmt die Geschichte bei Kilometer 279. Soweit ist der 17-jährige Viorel bereits von Essen entfernt. Es folgen noch 2251 weitere Kilometer, bis er in Sfântu Gheorghe am Schwarzen Meer in Rumänien ankommt. Im Kofferraum des alten Opel Corsa seine tote Mutter. Einen offiziellen Überführungsschein hat er nicht und einen Führerschein auch nicht. Aber 300€. Die müssen reichen, um seine Mutter in ihrer Heimat, in die sie immer zurück wollte, zu begraben – dort, in Siebenbürgen (oder Transsilvanien).

Während Viorel am Tod seiner Mutter keine Schuld trägt, sieht die Sache beim zweiten Toten – einem Anhalter – anders aus. Etwa bei Kilometer 300 nimmt Viorel ihn auf:
„Schwarze Hose, schwarzer Mantel mit silbernen Manschetten und schmalen Epauletten […]. Den Kragen hochgestellt. Trotz Dauerregen besitzt er weder einen Schirm noch einen Hut oder eine Kapuze, offensichtlich. Über der Schulter trägt der Fremde einen übergroßen schwarzen Seesack. Bis auf die bleiche Haut ist alles schwarz an ihm. Düster.“ (S. 13)

Richtig gruselig wird es, als der Anhalter anfängt, von rumänischen Mythen zu berichten, als er Viorel über die Blutgräfin Báthory und Graf Dracula in Kenntnis setzt und sein reiches Wissen über Untote auszubreiten beginnt. Immerhin kennt er einen Trick gegen den Leichengeruch im Wagen, den er sofort wahrnimmt: Watte – oder wahlweise eine Socke – in den Hals stopfen. Als Leser ahnt man, dass hier ein Vampir auf dem Beifahrersitz gelandet ist. Aber dann kommt es ganz anders: Kaum in Ungarn angekommen, in der Nähe von Györ, wird der Anhalter beim Aussteigen von einem Lastwagen erfasst. Mitten in der Nacht. Und nur wegen einer ungeschickten Bewegung von Viorel. Um Ärger mit der Polizei zu vermeiden, steckt er den Anhalter in den Seesack und fährt mit zwei Leichen im Gepäck weiter – quer durch Osteuropa. Es folgen noch weitere bizarre Begegnungen „on the road“: So zum Beispiel eine Verfolgungsjagd, bei der die Leiche des Anhalter verschwindet.
Dirk Popes Buch lässt keinen Zweifel daran, dass es sich um einen Roadroman handelt. Eine literarische Gattung, die sich nicht zuletzt seit Herrendorfs Tschick großer Beliebtheit in der Jugendliteratur erfreut. Das Motiv der Reise jugendlicher Protagonisten, meist verbotener Weise, nimmt das Gefühl der Suche überzeugend auf, das viele Jugendliche empfinden. Eine Suche, an deren Ende sich die Protagonisten selbst finden. Was Pope erzählt, ist nicht unbedingt neu, dafür aber abgefahren: Abgefahren auf der Ebene des Dargestellten und der Darstellung. Pope gelingt es, die chaotische Lebenssituation von Viorel mit viel Einfühlungsvermögen und großer Ernsthaftigkeit zu erzählen. Überzeugend ist der Sprachwitz dabei.

Im Grunde nimmt man für 2500 Kilometer Anteil an einem inneren Monolog von Viorel, der seine Situation plastisch werden lässt. Streckenweise rutschen die Gedankenketten aus kurzen zusammenassoziierten Sätzen in einen reflektierenden Bewusstseinsstrom ab, der nachdenkliche Stimmungsbilder erzeugt: "Bis weit hinter den Horizont zeigt sich die grenzenlose Einfallslosigkeit der Natur. Es ist die Region der Abwechslungsarmut, Auffangbecken des visuellen Stumpfsinns." (S. 49)

Dirk Pope zieht den Leser in die Gedanken- und Gefühlswelten des Protagonisten hinein, die zu Anfang sehr wirr und zweifelnd sind. Von Station zu Station aber wird Viorel auf eine chaotische Art zielgerichteter, was sich auch in der sprachlichen Darstellung spiegelt. Dass Viorel noch nicht genau weiß, was er will, aber dass er will, zeigt sich besonders schön in der Begegnung mit Dana.

Dana ist die Urenkelin der alten Báthory und ebenfalls Reisebegleiterin von Viorel. Sie bringt etwas Schönes in die Geschichte von Toten, Untoten, Höllenhunden und Vampiren. Und etwas Schönes kann das Leben von Viorel brauchen: Er hat keine Kumpels, keine Freundin und bisher – abgesehen von dieser aberwitzigen Reise – keinen Antrieb. Nicht zuletzt, weil er stark übergewichtig ist. Dana scheint daran keinen Anstoß zu nehmen. Es sind die kleinen Anzeichen des Sich-hingezogen-Fühlens, die Viorel wahrnimmt und die seinen Willen und Mut wecken, die Zukunft zu gestalten. Nach der Reise weiß er, „dass er für alles, was passiert, selbst verantwortlich ist.“

Für namentlich oder mit Namenskürzel gekennzeichnete Beiträge und Beurteilungen liegt die presserechtliche Verantwortung beim jeweiligen Autor bzw. bei der jeweiligen Autorin.

Diese Rezension wurde verfasst von jhe; Landesstelle: Hamburg.
Veröffentlicht am 27.02.2020

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