28 Tage lang

Autor*in
Safier, David
ISBN
978-3-499-21176-8
Übersetzer*in
Ori. Sprache
Illustrator*in
Seitenanzahl
405
Verlag
Rowohlt
Gattung
Ort
Reinbek
Jahr
2015
Lesealter
14-15 Jahre16-17 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Preis
9,99 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Die fünfzehnjährige Mira ist Jüdin und lebt mit ihrer Mutter und ihrer jüngeren Schwester Hannah im Warschauer Ghetto. Sie versucht das Überleben der kleinen Familie durch den Schmuggel von Lebensmitteln zu sichern, was aber zunehmend schwieriger wird. Schließlich schließt sie sich dem Widerstand an und ist mit dabei, als es im April 1943 zu dem legendären 28 Tage andauernden Aufstand im Ghetto gegen die übermächtige SS kommt.

Beurteilungstext

Der Autor David Safier sagt über sein erstes Jugendbuch, das 2014 zugleich in zwei Verlagen erschien:
"Dies ist ein Buch für meine Kinder, aber gewissermaßen auch für meine Großeltern, die in Buchenwald bzw. im Ghetto von Lodz gestorben sind. Dieses Buch soll eine Brücke zwischen den Generationen schlagen. Ich möchte mit ihm auch Menschen erreichen, die normalerweise nicht ohne weiteres zu einem Roman über den Holocaust greifen würden. Deswegen habe ich "28 Tage lang" mit den Mitteln des Spannungsromans geschrieben. Man soll es - trotz all des Fürchterlichen, das geschehen ist - gerne lesen. Vor allen Dingen aber ist "28 Tage lang" ein Buch, in dem es nicht nur um die Vergangenheit geht, sondern auch um uns. Um die ewigen, universellen Fragen, die uns alle bewegen: Was würdest du tun, um zu überleben? Würdest du dein Leben für andere opfern, oder würdest du andere für dein Leben opfern? Kurzum, es geht darum: Was für ein Mensch willst du sein? Ich hoffe, dass dieses Buch Ihnen so viel bedeuten wird, wie es mir bedeutet."
Ja, was für ein Mensch willst du sein? Das ist die zentrale Frage, die sich Mira immer wieder stellt oder die ihr gestellt wird und die zugleich ein Leitmotiv des Romans ist. Ihre Antwort darauf verändert sich in seiner Bedeutung, auch wenn der Wortlaut gleich ist: "Einer, der überlebt." Ist es zunächst nur der Überlebenswille, der sie antreibt und zu einer cleveren Schmugglerin macht, verändert sich ihre Sicht im Laufe des Romans. Sie hat sich nach dem Tod ihrer Mutter und der geliebten Schwester, den sie nicht verhindern kann und an dem sie fast zu zerbrechen droht, zu einer fürsorglichen und das Leben der kleinen Rebecca schützenden jungen Frau entwickelt. Ja, auch unter den extremen Bedingungen des Hungers und des sie ständig umgebenden Todes, bleiben die Grundfragen nach dem eigenen Handeln und der Verantwortung bzw. der Moral die gleichen.
Safier erzählt mit großer sprachlicher Kraft und mitreißend in der Dynamik der Handlung. Er lässt die Leserschaft immer wieder ganz nah und mit den Augen der Jugendlichen Mira den Schrecken und zugleich die Notwendigkeit des Handelns in fast ausweglosen Situationen erleben. Immer ist Mira und mit ihr natürlich auch ihre Familie, ihre zwei Freunde Daniel und Amos und alle im Ghetto von der Willkür und dem Vernichtungswillen der Deutschen und der SS bedroht. Daniel steht für die Bereitschaft sich zu opfern, denn er lebt mit Janusz Korczak im Waisenhaus und wäre ohne Miras Intervention mit ihm und den Kindern in den sicheren Tod gegangen. Amos steht für den geheimen Widerstand, den es von Anfang an im Ghetto gab. Er glaubt nicht an die Versprechungen der Deutschen an eine Umsiedlung des Ghettos und so ist seine Antwort auf die Frage, was für ein Mensch er sein will: "Einer, der sich wehrt."
Nicht zu übersehen ist, dass Safier auf der Grundlage historischer Fakten erzählt, führt er doch reale Personen ebenso selbstverständlich ein, wie er mit Mira eine Figur einführt, die es so genau nicht gab, aber die in ihrer Vielschichtigkeit und Lebendigkeit so hätte sein können. Damit eröffnet und ermöglicht er gerade jugendlichen Lesern einen ganz unmittelbaren Zugang zur historischen Realität. Hier möchte ich aus der Rezension von T. Spreckelsen in der FAZ vom 21.3.2014 zitieren: "Natürlich bezieht der Roman genau aus dieser Verschränkung von Historie und Fiktion seine Wirkung, und da der Autor das Grauen, das er beschreibt, allmählich in den Horizont seiner Erzählerin treten lässt, dann aber konsequent und mit zunehmender Intensität beleuchtet, gibt es auch für den Leser keine bequeme Flucht aus der Geschichte. Safier macht Ernst, weil die Dinge so waren, wie sie eben waren, er konfrontiert Mira mit willkürlich begangenen Morden ... zwingt sie zu grauenhaften Entscheidungen..."
In der Erzählkunst von Miras Schwester Hannah, die in ihrer fantastischen immer weiter gesponnenen Geschichte von den Abenteuern von Kapitän Karotte und dem unheimlichen Spiegelmeister nicht nur sich selber von den Zumutungen des Alltagslebens im Ghetto ablenkt, wird eine wichtige Funktion von Literatur sicht- und nachvollziehbar: Sie bietet Trost und Hoffnung und ermöglich so auch das Weiterleben.
Das mit dem "Buxtehuder Bullen" als bestes Jugendbuch des Jahres 2014 ausgezeichnete Buch halte ich für eines der besten jugendliterarischen Texte, die sich mit dem Thema (jugendlicher) Widerstand im Faschismus intensiv, sachkundig, engagiert und erzählerisch klug, spannend und berührend zugleich auseinandersetzen.
Sehr zu empfehlen ist auch das komplett eingelesene Hörbuch (im Argon Verlag), das die Wirkung des Textes noch intensiviert - Maria Koschny liest Mira in ihrer Stärke, ihrer Verletzlichkeit, ihrer Liebe, ihrem Humor, aber auch ihrem Hass mit einer Eindringlichkeit, der man sich kaum entziehen kann. Atemlos ist man mit Mira unterwegs im Ghetto, schmeckt den Kuss von Amos und zweifelt mit ihr an sich selbst.
Hörbuch und Text zusammen können im Unterricht parallel gelesen und gehört werden - eine Chance für die Jugendlichen, die sich den Text lesend nicht alleine aneignen können.
Empfehlen kann ich auch das zum kostenlosen Download auf der Homepage des Autors bereitstehende Unterrichtmaterial zum Buch. Es bietet vor allem Anregungen zum historischen Kontext (Warschauer Ghetto) und der Frage nach dem Erwachsenwerden unter extremen Bedingungen. Es bietet aber auch Arbeitsblätter und Ideen zu literarischen Aspekten des Textes an, wie die Charakterisierung von Figuren und zur Funktion der Erzählung von den 777 Inseln.

Für namentlich oder mit Namenskürzel gekennzeichnete Beiträge und Beurteilungen liegt die presserechtliche Verantwortung beim jeweiligen Autor bzw. bei der jeweiligen Autorin.

Diese Rezension wurde verfasst von ASR.
Veröffentlicht am 01.01.2016

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